Eltern sollten sich aus Hausaufgaben raushalten

Tübingen/Berlin (dpa/tmn) - Mit dem Schulstart beginnt die tägliche Prozedur der Hausaufgaben. Eltern sind dabei oft verunsichert und fragen sich, wie viel Unterstützung ihr Kind braucht. Experten raten, so zurückhaltend und behutsam wie möglich vorzugehen.

Hausaufgaben werden in ihrer Bedeutung für den Lernerfolg der Kinder oft völlig überschätzt. Das zumindest ist die Meinung der Tübinger Erziehungswissenschaftlerin Britta Kohler. „Es gibt keine überzeugenden empirischen Untersuchungen, dass Hausaufgaben quasi automatisch zu mehr Lernerfolg führen oder intensive elterliche Unterstützung viel hilft“, sagt die Dozentin an der Tübinger Universität. Und trotzdem gehören sie bereits ab der ersten Klasse zum Schulalltag und haben ihre Berechtigung - genauso wie die Unterstützung der Eltern. Weniger ist dabei allerdings mehr.

„Grundsätzlich sollten Kinder ihre Hausaufgaben selbstständig erledigen können, da sie ja in der Regel der Wiederholung und Vertiefung des Schulstoffes dienen“, sagt die langjährige Grund- und Hauptschullehrerin Marianne Demmer, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Bildung und Erziehung (GEW) in Frankfurt am Main. Das allerdings bedeute nicht, dass man als Eltern völlig außen vor sei. „Ich erwarte sogar von den Eltern, dass sie ab und zu mal in die Schultasche gucken und auch über die Hausaufgaben schauen“, erklärt Brigitte Dietrich, Rektorin an einer Berliner Grundschule.

Zunächst aber sollte man sich das Kind ganz individuell und sehr genau anschauen: Braucht es nach der Schule eine kleine Ruhepause oder kann es gleich nach dem Essen mit den Schulaufgaben beginnen? Und so banal es auch klingen mag: Eine ruhige Atmosphäre ist ebenso wichtig wie ein ordentlicher Arbeitsplatz, egal ob zu Hause oder in der nachmittäglichen Betreuung in der Schule oder im Hort. „Bei vielen Schülern entsteht die Frustration nicht, weil sie die Hausaufgaben nicht machen können oder wollen, sondern weil ganz andere Faktoren wie zu wenig Schlaf, zu viel Fernsehen, mangelnde Bewegung oder kein Frühstück belasten“, sagt Dietrich, die seit mehr als 40 Jahren im Schuldienst ist.

Sind Ort und Zeitpunkt festgelegt, sollten sich Eltern nicht die ganze Zeit daneben setzen. „Manche Kinder bitten nur um Unterstützung, weil sie die Aufmerksamkeit der Eltern wollen“, sagt Kohler. Viel sinnvoller sei es, dem Kind anzubieten, dass man sich nachher die Ergebnisse ansieht. So erziehe man das Kind zur Selbstständigkeit und bringe ihm gleichzeitig Vertrauen entgegen, dass es die Hausaufgaben auch alleine schafft. „Zudem neigt man natürlich als Eltern dazu, ständig einzugreifen, wenn man daneben sitzt und einen Fehler entdeckt oder das Kind womöglich nicht ordentlich genug schreibt“, warnt GEW-Vorstandsmitglied Marianne Demmer.

Apropos Fehler: korrigieren oder ignorieren? „Viele Kinder brauchen die Sicherheit, dass sie fehlerfrei in die Schule gehen“, sagt Britta Kohler. Andererseits seien Hausaufgaben Lernkontrollen für die Lehrer. „Da kann man das Kind entscheiden lassen, ob es die Aufgaben durchgesehen haben möchte“, sagt sie.

Wichtig sei es aber, behutsam auf Fehler aufmerksam zu machen. „Man kann Kinder die Fehler auch selber suchen oder nochmals über die Aufgabenstellung nachdenken lassen“, lautet ein Tipp der Erziehungswissenschaftlerin. Das gilt auch für Kinder, die nachmittags in einer Betreuung sind und dort ihre Hausaufgaben machen.

Zudem sollten Eltern Kontakt zu den Lehrern halten. „Manche möchten, dass die Fehler korrigiert werden, andere nicht“, sagt Marianne Demmer. Auch sei es sinnvoll, wenn die Eltern wüssten, wie die Lehrer in ihrem Unterricht überhaupt vorgingen. „Wird erst Druck- oder erst Schreibschrift gelernt, haben alle Kinder immer das gleiche auf?“. Und bei größeren Schwierigkeiten des Kindes in der Schule oder bei den Hausaufgaben sollte ein Gespräch mit den Lehrern sowieso eine Selbstverständlichkeit sein. Das gelte auch, wenn die Kinder zu lange für die Aufgaben benötigten, was wiederum sehr individuell sei.

Grundsätzlich sollten Eltern darauf achten, keinen übersteigerten Ehrgeiz in Sachen Hausaufgaben zu entwickeln. „Viel wichtiger ist es, dem Kind zu zeigen, dass man ihm vertraut und an es glaubt, ihm Verantwortung überträgt“, sagt Britta Kohler. Zudem könnten die Eltern ja in vielen Fällen gar nicht wissen, wie eine Aufgabe richtig gelöst, ein Buchstabe nach heutigen Standards richtig geschrieben wird. „Zunächst einmal wissen die Kinder alles besser und dann ist im Zweifel sowieso die Lehrerin die höchste Instanz für sie und nicht etwa die Eltern“, sagt Brigitte Dietrich.