Erziehungstipps: Wenn Kinder Geheimnisse ausplaudern
Darmstadt (dpa/tmn) - Ob Details über Toilettengänge oder Meinungen über unliebsame Verwandte: Wer kleine Kinder hat, muss damit rechnen, dass sie frei über vieles reden. Ein Redeverbot sollten Eltern ihnen aber auf keinen Fall erteilen.
„Ist das die hässliche Kleid, von das du gesprecht hast, Mami?“ oder „Meine Mama blutet aus der Scheide! Deine auch?“: Diese für sie peinlichen, vom Kindermund ausgeplauderten Sätze hat die Berliner Bloggerin „ Das Nuf“ ins Netz gestellt. „Ich habe nichts zu verbergen... . Wie falsch dieser Satz ist, das wird einem erst klar, wenn man ein flüssig sprechendes Kind im Kindergartenalter hat“, schreibt sie im Beitrag „Mama Leaks“.
Wie kann es gelingen, mit solchen unangenehmen, schwerfälligen Situationen umzugehen? Und wann verstehen Kinder, dass man über bestimmte Sachen vielleicht nicht mit jedem spricht? Im Alter von fünf bis sechs Jahren verstehen Kinder noch nicht viel vom Geheimnishüten, sagt der Pädagoge Michael Schnabel. Aber: „Interessanterweise unterscheiden Kinder in diesem Alter schon zwischen schönen und schlimmen Geheimnissen.“
Untersuchungen aus den 90er Jahren zeigten demnach bereits, dass jüngere Kinder der Ansicht sind, über schlimme Geheimnisse müsse man reden. „Diese Offenheit und das damit verbundene Vertrauen darf nicht enttäuscht werden. Vielmehr sollten Eltern ihren Kindern immer wieder erklären, dass das Gespräch über schlimme Geheimnisse sogar überlebenswichtig sein kann“, erklärt Schnabel, ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München.
Beim Ausplaudern von Details über Geschmacksfragen der Eltern geht es aber wohl nicht um den Unterschied zwischen guten und schlechten Geheimnissen. Es geht wohl eher um den Lernprozess, den Kinder durchlaufen: Was ist gesellschaftlich akzeptiert? Was ist Privatsphäre und was nicht?
„Wenn Kinder etwas aus der Familie ausplaudern, dann ist es wohl in den meisten Fällen so, dass die Eltern nicht extra gewarnt haben „Erzähl das nicht weiter““, sagt die Professorin Bettina Schuhrke von der Evangelischen Hochschule Darmstadt. „Kinder haben eine andere Perspektive als Erwachsene: Sie verstehen noch nicht die komplizierten Regeln, dass etwas vor manchen Personen okay ist und vor anderen nicht.“ Schuhrke und Kollegen hatten vor mehreren Jahren in einer Studie 41 Familien befragt, und dabei gesehen, dass Kinder zwischen vier und sieben Jahren ein Gefühl von Selbstscham entwickeln, etwa was die eigene Nacktheit oder Toilettengänge angeht.
„Nachdem sie diese Selbstscham entwickelt haben, kommt auch noch etwas dazu, das wir die Fähigkeit zur Fremdscham nennen; also sich stellvertretend für andere zu schämen, aber auch Rücksicht auf andere zu nehmen.“ Diese Fähigkeit beginne etwa im Vorschulalter.
Bettina Schuhrke ist überzeugt: Sämtlichen möglicherweise peinlichen Situationen, in denen Kinder etwas ausplaudern, kann man nicht vorbeugen. „Da müsste man sich mit seinen Aussagen und seinem Verhalten ja ständig kontrollieren.“ Wenn so etwas passiert, sei es wichtig, dass die Eltern reflektieren: Warum ist mir das überhaupt peinlich? Dann sollten sie mit dem Kind darüber sprechen und ihre Gefühle erklären.
Das sieht der Erziehungsberater Ulrich Gerth aus Mainz ähnlich: „Kommt es zu einer peinlichen Situation in der Kita, weil das Kind zum Beispiel ausplaudert, dass man die Mutter eines anderen Kindes nicht mag, dann liegen die Karten offen auf dem Tisch.“ In dieser Situation sollten die Erwachsenen offen damit umgehen. Mit dem Kind zu schimpfen, wäre falsch.
Und wenn es wirklich etwas sei, was erst einmal in der Familie bleiben sollte, dann sei es wohl besser, das erst einmal unter den Eltern zu besprechen.