Geprüft und für gut befunden - Pflegeeltern auf dem Weg zum Kind

Flensburg (dpa) - In die Schlagzeilen geraten Pflegeeltern in der Regel, wenn Schlimmes passiert. Dann kommen Vorurteile ins Spiel: Geldgier sei ausschlaggebend für die Pflegschaft. Stimmt nicht, sagt ein Paar aus dem Norden: Kinder machen glücklich, nicht Geld.

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Johanna (Name von der Redaktion geändert) war ein geplantes Kind. Bevor sie zu Thomas und Vanessa Christiansen kam, haben die beiden Kurse besucht, ihre familiären und finanziellen Verhältnisse wurden durchleuchtet, Gesundheitszeugnisse und polizeiliche Führungszeugnisse erstellt, Vorgespräche geführt und Hausbesuche gemacht. Es wurde geprüft, ob es Ausschlusskriterien gibt, gesundheitliche Einschränkungen etwa, psychische Probleme, eine noch nicht lange bestehende Partnerschaft, oder ob die Christiansens schon einmal Erziehungshilfen benötigt haben. Sie haben Seminare besucht, haben ihre Motivation hinterfragt - warum wollen wir das machen?

Und sie haben sich damit beschäftigt, „was Menschen so werden lässt, dass sie sich nicht um ihr Kind kümmern können“ - so drückt es Beatrix Walter-Reincke von der Pflegeelternschule der Stadt Flensburg aus. Und als die Christiansens all das hinter sich gebracht hatten, da kam Johanna zu ihnen, wenige Monate alt. Denn Johannas Mutter ist noch sehr jung, muss selbst noch viel lernen und sich mehr um sich selbst kümmern.

Um Johanna kümmern sich jetzt die Christiansens. Zwei Mädchen haben sie bereits, beides Frühgeburten, da wollten sie kein Risiko mehr eingehen - aber sie wollten noch mehr Leben zu Hause. Also entschieden sich der 41 Jahre alte Thomas Christiansen und seine 14 Jahre jüngere Frau, ein Pflegekind zu sich zu nehmen. „Es gibt genug Kinder, denen man helfen muss“, sagt er.

Einen Vier-Generationen-Hof im Kreis Schleswig-Flensburg haben sie, auch die Oma hat er noch aus dem Seniorenheim geholt, und nun wohnen alle unter einem Dach. Das viel gehörte Vorurteil, Pflegeeltern nähmen Kinder nur des Geldes wegen auf, ringt beiden nur ein müdes Lächeln ab. „Wir haben verzichtet auf Geld“, sagt Thomas Christiansen - schließlich hat seine Frau ihre Arbeit aufgegeben. „Geld macht nicht glücklich, Kinder schon“, findet der 41-Jährige. Johanna war für das Ehepaar schon nach kurzer Zeit wie ein eigenes Kind. Dennoch verläuft nicht alles reibungslos: Nach jedem Besuch der leiblichen Mutter sucht die einjährige Johanna intensiv die Nähe von Pflegemutter Vanessa.

Es sei aber wichtig, die leiblichen Eltern miteinzubeziehen, sagt Beatrix Walter-Reincke. Es sei für die Kinder viel einfacher, bei den Pflegeeltern zu bleiben, „wenn meine Mama das erlaubt hat, dass ich hier sein darf“. Anderenfalls entstehe ein Loyalitätskonflikt. Das sei auch eine Identitätsfrage, sagt die Sozialpädagogin: Es werde vermittelt, welche positiven Dinge die Kinder von den leiblichen Eltern mitbekommen haben.

„Deine Mama hat zwei Seiten, die eine Seite ist, sie hat dich sehr lieb, die andere Seite ist, sie hat viele Dinge nicht gelernt, die es braucht, um sich um ein Kind zu kümmern“, so werde den Kindern erklärt, warum sie nicht bei der leiblichen Mutter leben. Es gebe beispielsweise Mütter, die selbst als Kind wenig Zuwendung erfahren und eine Bindungsstörung entwickelt haben. So könne es passieren, dass sie ihr Kind beim Wickeln nicht ansehen. Das Baby dreht den Kopf dann irgendwann zur Seite, „weil es merkt, da kommt keine Resonanz“.

Elf Bewerberpaare gibt es zurzeit in Flensburg. Ein „Matching“ gebe es, ausgehend vom Bedarf des Kindes, sagt Walter-Reincke: Welches Kind passt in welche Familie? Interessiert seien Menschen, die sich engagieren wollen, Familien mit großen Kindern, generell eher „gestandene Familien“. 70 Kinder sind derzeit in Kurzzeitpflege, 50 wurden 2013 in Vollzeitpflege vermittelt.

In Kiel stehen derzeit 250 Pflegefamilien zur Verfügung, 50 werden zusätzlich jedes Jahr gebraucht. Die Stadt startete sogar eine Werbekampagne. 20 Familien haben sich bislang darauf gemeldet. In Lübeck dagegen habe man die Nachfrage bislang immer bedienen können, sagt ein Sprecher. Etwa 200 Familien kümmern sich um ungefähr 300 Kinder in Vollzeitpflege. Auch im Kreis Steinburg gibt es keine Engpässe - 120 Familien betreuen 170 Kinder und Jugendliche. In Flensburg sieht es anders aus: „Es ist schwierig, Familien zu finden“, sagt Karen Welz-Nettlau, Abteilungsleiterin im Bereich Sozialpädagogische Dienste der Stadt Flensburg.

Wichtig sei der eigene Pflegeelterndienst der Stadt, der auch in Krisen berät. Und trotzdem: „Wir sind nicht 24 Stunden in der Familie. Wir werden nie die 100-prozentige Sicherheit haben, dass die Familien es schaffen, mit jeder Krisensituation fertig zu werden.“ Die Lebenswelt der Pflegekinder bedeute für die häufig aus der Mittelschicht kommenden Eltern oft Neuland.

Ist das Kind in der Pflegefamilie angekommen, gibt es eine Pflegeelterngruppe, die sich regelmäßig trifft, begleitende Seminare und Fortbildungen. Dass Johanna sie vielleicht irgendwann verlässt, weil ihre Mutter sich inzwischen um sie kümmern kann, ist den Christiansens bewusst. Man müsse immer die Seite des Kindes betrachten, sagt Thomas Christiansen. „Man wird an vieles erinnert, wie man selbst als Kind gefühlt hat.“