Im Alter ohne Führerschein: Der Abschied braucht Zeit
München (dpa/tmn) - Den Führerschein abzugeben ist für Senioren oft gleichbedeutend mit dem Verlust der Selbstständigkeit. Angehörige müssen deshalb sehr sensibel agieren. Ein unabhängiger Dritter wie ein Hausarzt kann manchmal am besten vermitteln und überzeugen.
Der Prozess ist schleichend: Das Straßenschild, das vor einem Jahr noch klar erkennbar war, ist jetzt leicht verschwommen. Die Geräusche, die eindeutig einem Laster, einem Auto oder einem Zug zuzuordnen waren, werden leiser und schwerer zu unterscheiden. Eine neue Umgebung verursacht nicht Freude, sondern Verwirrung. Je älter ein Mensch wird, desto unsicherer wird er in vielen Fällen auch am Steuer. Für Angehörige beginnt eine schwierige Phase. Die eigenen Eltern davon zu überzeugen, sich nicht mehr ans Lenkrad zu setzen, ist nicht einfach. Klare Regeln gibt es dafür nicht.
„Wir können nicht alle 70-Jährigen über einen Kamm scheren“, sagt Ulrich Chiellino, Verkehrspsychologe beim ADAC in München. Allein am Alter könne man die Fahrtauglichkeit nicht festmachen. Im Vergleich zu jungen Fahrern bauten Senioren weniger Unfälle. Viele ältere Menschen passten sich oft von selbst ihrer veränderten Gesundheitslage an. „Es beginnt vielleicht mit Schwierigkeiten beim Ein- und Ausstieg aus dem Fahrzeug. Da wird man dann den Sitz verstellen oder ein Auto mit breiterem Einstieg kaufen.“ Wer schlechter im Dunkeln zurecht komme, fahre lieber tagsüber oder lasse zumindest einen größeren Abstand zum Vorderauto. Auf diese Weise kompensierten Senioren sinnvoll ihre Defizite. Nicht immer reiche das aber aus.
Ralf Buchstaller, Verkehrspsychologe beim TÜV Nord, empfiehlt, mit den Eltern schon frühzeitig über das Thema Autofahren zu sprechen. „Für viele Menschen ist die Abgabe des Führerscheins gleichbedeutend mit dem Einzug ins Altersheim“, sagt Buchstaller. Mit entsprechend viel Einfühlungsvermögen sollten die Kinder auf ihre Eltern zugehen. Hätten die Kinder den Verdacht, dass die Senioren mit dem Fahren überfordert seien, sollten sie auf kleinere Unfälle oder Beinaheunfälle achten. „Die Kinder sollten hin und wieder mitfahren und darauf achten, wie die Eltern in kritischen Situationen reagieren, beispielsweise beim Linksabbiegen an Kreuzungen mit Gegenverkehr.“ Tauchten in solchen Situationen Probleme auf, könnten Kinder im Gespräch daran anknüpfen.
Buchstaller empfiehlt als ersten Ansprechpartner für die Senioren den Hausarzt. Er kenne die Menschen meist schon sehr lange, unter Umständen auch die Kinder. Ihn könnten die älteren Menschen ansprechen, wenn sie Fragen zu ihrem Gesundheitszustand oder zu den Auswirkungen ihrer Medikamente auf die Fahrtüchtigkeit hätten. Die Kinder könnten den Arzt eventuell ins Vertrauen ziehen, wenn sie den Eindruck hätten, die Eltern sollten besser nicht mehr fahren.
Hannelore Herlan, Sprecherin der Deutschen Verkehrswacht in Berlin, empfiehlt Kindern viel Geduld und ein Gespräch in einer ruhigen Minute. Sehfähigkeit, Gehör, Reaktionsfähigkeit, Wahrnehmungsfähigkeit - das seien die Punkte, auf die Kinder bei ihren Eltern achten sollten. Wenn die Eltern über die anderen Verkehrsteilnehmer stöhnten, die alle nicht aufpassen würden, oder wenn sich gar die Knöllchen häuften, sei Aufmerksamkeit geboten.
„Viele Senioren haben Angst, dass sie mit der Führerscheinabgabe ihre Mobilität, ihre Freiheit, ein Stück Leben abgeben“, sagt Herlan. Auch das Fahrrad als Ersatz komme oft nicht infrage, weil sich die Senioren auch darauf unsicher fühlten. In der Stadt könnten sie auf Busse, Bahnen und Taxen zurückgreifen. Auf dem Land sei das schwieriger. Das müssten Kinder berücksichtigen. Daher sei es mit einem Gespräch meist nicht getan. „Man muss sich als betroffenes Kind damit auseinandersetzen, dass man selbst öfter gefordert ist, Fahrdienst zu machen und den Vater oder die Mutter zu einem Arztbesuch oder auch zu einem Konzert zu fahren“, sagt Herlan.