In Gewaltkonflikten richtig verhalten

Berlin (dpa/tmn) - Ein junger Mann steigt mit seiner Freundin in die Straßenbahn. Mehrere Jugendliche beschimpfen die Frau übel. Der Freund verteidigt sie verbal - einer der Angreifer fühlt sich davon provoziert - und sticht zu.

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Der Mann stirbt noch am Tatort.

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Christian Zorn ist Leiter des Anti-Gewalt-Projekts des Landeskriminalamts Berlin und erzählt vom tödlichen Ende dieses Streits. Die 20 Teilnehmer des Anti-Gewalt-Trainings in Berlin hören dem 40 Jahre alten Kriminalbeamten gebannt zu. Die 15 Frauen und 5 Männer, von denen die meisten keine Gewalterfahrung haben, wollen verstehen, wie sich ein solches Unglück hätte verhindert lassen.

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Das Wichtigste: in einer bedrohlichen Situation deeskalierend wirken. „Die oberste Prämisse ist es, zu dem freundlich zu sein, der provoziert“, sagt Zorn. Der Täter warte nur auf eine Reaktion, die seine Tat rechtfertigt. Wer sich erst auf den Täter und sein „Drehbuch“ einlässt, kann zum Opfer werden. Deshalb sollte der Betroffene die Situation so schnell wie möglich verlassen. Körperspannung, ein klarer, kurzer Blick und dann weggehen oder souverän ignorieren - das kann helfen, der Gewaltsituation unbeschadet zu entkommen.

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Wer angegriffen wird, sollte Passanten direkt und laut ansprechen - beispielsweise mit: „Sie da, in der roten Jacke, rufen Sie die Polizei!“, sagt Bianca Biwer, Bundesgeschäftsführerin der Opferhilfeorganisation Weisser Ring. Der Betroffene sollte unbedingt zwei Meter Abstand zum Täter halten.

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Zeugen einer Gewalttat sollten ruhig bleiben und die Initiative ergreifen, sagt Biwer. Helfen, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen - das ist das Credo. Am besten spricht der Zeuge einen dritten Menschen gezielt an. Hat man Verbündete gefunden, sollten alle gemeinsam zum Opfer gehen und es direkt ansprechen mit: „Kommen Sie zu mir!“ In der U-Bahn könnten Zeugen die Notbremse ziehen oder im Bus den Fahrer ansprechen und ihn bitten, anzuhalten, sagt Biwer.

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Die Entscheidung, wie man sich in einer bedrohlichen Situation verhält, muss häufig innerhalb von Sekunden fallen. Dabei rät Andreas Mayer, Geschäftsführer der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes in Stuttgart, auf das eigene Bauchgefühl zu hören und sich ehrlich zu fragen: „Wie stark ist der Täter? Wie viele Täter sind es? Gibt es Waffen?“ Schlagen mehrere Angreifer auf einen Menschen ein oder sind Messer im Spiel, empfiehlt Mayer, die „110“ zu wählen.

Auf keinen Fall sollten sich Passanten dem Täter in den Weg stellen und seine Flucht behindern. Sonst verschärft sich die Situation. Außerdem sollten Opfer und Zeugen einen Gesichtsverlust des Täters vermeiden. Denn genau das führte zu der Messerattacke in der Berliner Straßenbahn. „Noch so ein Spruch und ich steche dich ab“, schrie der Jugendliche. „Traust du dich eh nicht“, entgegnete der junge Mann. So entschied sich der Jugendliche, lieber zu töten, als Feigling zu sein.

In Selbstverteidigungskursen von Sportvereinen lernten die Teilnehmer zwar, sich zu wehren, wenn sie körperlich unterlegen sind, sagt Mayer. Aber die dort gelernten Strategien sollten sie erst dann anwenden, wenn alles andere versagt hat. Dann können ein schneller, gezielter Tritt gegen das Schienbein, Knie oder zwischen die Beine zur Flucht verhelfen.

Zorn und Mayer raten allerdings davon ab, Messer, Schreckschusspistolen und Pfefferspray zur Selbstverteidigung bei sich zu tragen. Denn wer Waffen einsetzt, lässt die Situation oft erst recht eskalieren. Außerdem können sie in die Hände des Täters gelangen. Sinnvoller sei es, im Notfall einen Schlüsselbund, Regenschirm oder eine Trillerpfeife gegen den Angreifer einzusetzen, sagt Biwer. Mayer betont: „Notwehr ist zulässig.“ Wer aber selbst zur Waffe greift, der überschreitet unter Umständen die Grenze.