Schule schluckt Sport: Warum Kinder dicker werden

Essen (dpa) - „Ich bin nur gut im Kopf, wenn ich mich austoben und bewegen kann“, so zitiert Sportwissenschafter Werner Schmidt einen Zweitklässler. Das soll auf den Punkt bringen, worum es auf Hunderten Seiten im dritten Deutschen Kinder- und Jugendsportbericht geht.

Foto: dpa

Ausreichend Bewegung für Kinder bleibt wichtig, auch wenn wegen zunehmender Ganztagsbetreuung kaum noch Zeit bleibt. Alternativen müssen her, sind sich die Sportexperten einig, wenn Kindergarten und Schule erst am späten Nachmittag enden. Punkt eins: Die Sportdinos - die Vereine - müssen aus dem Mitgliedschaftsdenken heraus. Tun sie aber auch schon. „Deutschland ist im Sport ganz gut aufgestellt“, sagt Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes. „Aber es gibt Probleme.“

60 Prozent der Schulen arbeiten schon mit Vereinen zusammen, um nachmittags Bewegung anzubieten, 30 Prozent der Kindergärten kooperieren ebenfalls. Es reicht aber nicht, wie aus dem am Freitag in Essen vorgestellten Sportbericht hervorgeht. Es soll mehr werden, und die Vereine sollen auch über Schulen und Kitas hinaus Angebote machen, verlangen die Autoren der von der Krupp-Stiftung initiierten Expertise.

Trendsport ist gefragt. Das spreche Kinder und Jugendliche an. Darüber können sie sich in den sozialen Netzwerken austauschen. BMX, Inliner, Skateboard und Mucki-Training im Fitnessstudio sind zwar als Trendsport schon in die Jahre gekommen, bleiben aber weiter beliebt. Im Kommen sind etwa Parkour-Läufe über Hindernisse oder Mitternacht-Basketball. Zehn Prozent der Angebote kommen von kommerziellen Anbietern.

Solche Aktivitäten werden gerade auch von Jugendlichen aus sozial schwächeren Familien gerne angenommen, sagen die Autoren. Die Sportexperten möchten, dass Vereine mit ihren 600 000 Übungsleitern in dieser Richtung mehr Angebote machen.

Alles können die Vereine aber nicht leisten, angesichts der Schwächen im Bewegungsangebot von Kitas und Schulen. Die meisten Bundesländer haben laut dem Bericht nur noch zwei Sportstunden im Angebot. Abgehalten wird er meist von fachfremden Lehrern. Und jede vierte Sportstunde fällt aus, rechnet Werner Schmidt vor. Der Professor von der Universität Duisburg-Essen ist der Hauptautor der Studie.

„Wenn dann noch der Vater mit der Dose Bier vor der Sportschau sitzt und dem Nachwuchs sagt: Lies mal ein Buch“, wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) anmerkt - dann funktioniert auch nicht die Motivations- und Mitmachfunktion in der Familie. Dabei besitzt der Sport die beste Chance, Kinder zu erreichen, auch Flüchtlingskinder. In Umfragen nennen 80 Prozent aller Kinder sportbezogene Hobbys.

Reiten ist bei Mädchen „in“. Bei Jungen natürlich der Fußball. Im Jugendalter holen inzwischen aber die Mädchen beim Fußball auf. Schafft der Sport es, alle Kinder zu erreichen, geht auch das Problem Übergewicht und motorische Mängel zurück. Momentan sind viel zu viele Kinder zu dick und inaktiv, wissen Sportmediziner.

90 Minuten mit Schwitzen und aus der Puste kommen, wie Prof. Christine Graf von der Deutschen Sporthochschule Köln fordert, ist vielleicht ausreichend. Sie sagt aber selbst, dass die Forderung hoch angesetzt ist. Ein Bruchteil ist heute für viele Kinder Realität.

Da lässt ein Beispiel aus dem Ruhrgebiet aufhorchen, das über den Tellerrand hinausgeht: „Sport in der Moschee“. Solche Projekte begeistern nicht nur Sportexperten.