Matschen und Ernten statt PC-Spiele: Naturkindergärten boomen
Bremen/Braunschweig (dpa) - In Natur- und Waldkindergärten sind Kinder bei Regen, Sturm und Schnee immer an der frischen Luft. Das Konzept gewinnt immer mehr Anhänger. Inzwischen gibt es bundesweit mehr als 1000 Einrichtungen.
Katzen, Hühner, Gänse und Ziegen laufen frei herum, mittendrin kräht laut ein Hahn und präsentiert sein buntes Gefieder. Auf dem großen Gelände der Kinder- und Jugendfarm im Bremer Stadtteil Habenhausen eröffnete eine Elterninitiative vor 14 Jahren den „Farmkindergarten“. Bis auf den rot angestrichenen Bauwagen gleich neben dem Stall der Hängebauchschweine gibt es keine geschlossenen Räume. Bei Wind und Wetter spielen die Kinder unter Aufsicht zweier Erzieherinnen den ganzen Vormittag draußen.
Wenn im Winter Temperaturen von zehn Grad Minus herrschen, tragen die Kleinen Skianzug, Mütze, Schal und dicke Handschuhe. „Einen Zugang zur Natur und ihrer Umwelt zu erlernen, das ist genau das, was die Kinder in diesem Alter brauchen“, sagt Esther Ennulat, eine der Erzieherinnen. In Gummistiefeln und robuster Kleidung bauen die Drei- bis Sechsjährigen Spielzeuge aus Materialien, die sie vorher selbst zusammen gesucht haben, toben im Matsch, pflegen und füttern Tiere und bewirtschaften einen kleinen Garten, wo sie verschiedene Gemüsesorten anpflanzen und später ernten.
An diesem Tag rupfen die Kinder reife Maiskolben von den hohen Stängeln, am Vortag haben sie Kartoffeln aus der Erde gepult. „Daraus haben wir dann Kartoffelpuffer mit Apfelmus gemacht“, sagt die fünfjährige Frieda stolz.
Das Konzept ist in Skandinavien weit verbreitet und stammt ursprünglich aus Dänemark, wo eine Elterninitiative den ersten Naturkindergarten schon in den 50er Jahren gründete. In Deutschland entstand 1993 der erste offiziell anerkannte Kindergarten dieser Art in Flensburg. Seitdem werden Natur- und Waldkindergärten auch hierzulande immer beliebter. Maria-Luise Sander vom Bundesverband der Natur- und Waldkindergärten in Deutschland sagt, dass es bereits über 1000 dieser Einrichtungen in ganz Deutschland gibt. Jedes Jahr kommen etwa 20 neue hinzu.
„Wenn die Kinder den ganzen Tag draußen spielen, fördert das zum Beispiel ihre Grob- und Feinmotorik, die geistige Entwicklung, verbessert das Sozialverhalten und stärkt das Immunsystem“, sagt Sander. Erst recht im Zeitalter digitaler Medien würden diese Kindergärten immer wichtiger werden, denn viele Kinder könnten zwar schon früh mit Computern umgehen, aber sich draußen zu bewegen, falle vielen schwer. Weil das Interesse an den Freiluft-Kindergärten wächst, veranstaltet der Bundesverband im November zum ersten Mal einen internationalen Kongress in Berlin.
Auch Anja Wockenfuß und ihr Mann haben sich bewusst dafür entschieden, das ihr dreijähriger Sohn Jannis einen Naturkindergarten besucht. Die jungen Eltern leben in einer Altbauwohnung im Stadtzentrum von Braunschweig. Der „Kinderstall e.V.“ befindet sich auf einem abgezäunten Gelände im zentral gelegenen Prinzenpark. „Wir finden es schön, dass unser Sohn, obwohl und gerade weil wir mitten in der Stadt wohnen, den ganzen Tag draußen in der Natur sein kann“, sagt Wockenfuß.