Mitreden statt motzen - So verschaffen sich Jugendliche Gehör
München (dpa/tmn) — Wohin fahren wir in den Urlaub? Wofür darf ich mein Taschengeld ausgeben? Jugendliche haben viele Themen, über die sie mitentscheiden möchten. Wer es geschickt angeht, kann seine Eltern zum Zuhören bewegen.
Kinder möchten im Alltag mitbestimmen: wenn es um ihre Klamotten geht, das Mittagessen oder Verabredungen mit Freunden. Meist sagen aber die Eltern, wo es langgeht. Mit der richtigen Strategie können es Jugendliche dennoch schaffen, gehört zu werden.
Laut Ulrich Gerth sollten sie sich eine Vorgehensweise überlegen, um ihr Mitspracherecht durchzusetzen. Gerth ist Vorsitzender der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke). Die Situation ist genauso entscheidend wie der Tonfall. Gerth schlägt vor, sich zu einer ruhigen Zeit mit den Eltern an den Tisch zu setzen. Manchmal hilft es, vorher einen Termin auszumachen. „Dann sollte man klar sagen, was man möchte, aber nicht rummotzen.“
Am besten erklären Jugendliche, warum sie etwas möchten. Das kann zum Beispiel gemeinsame Regeln für Verabredungen mit Freunden betreffen, oder wie lange Fernsehen und Computer genutzt werden dürfen. Der Münchner Psychologe Klaus Neumann geht sogar so weit, dass er eine Tagesordnung für solch ein Gespräch empfiehlt.
Erreicht man seine Ziele nicht sofort, nimmt man sich am besten kleine Zwischenziele vor. „Wenn ich nicht gleich bis zwölf Uhr abends raus darf, reicht es vielleicht erst einmal, bis elf Uhr wegzubleiben“, nennt Gerth als Beispiel.
Verhandeln Kinder, sollten sie nicht nur Rechte einfordern, sondern auch Verantwortung anbieten, rät Fabienne Becker-Stoll, Leiterin des Staatsinstituts für Frühpädagogik (IFP) Bayern. Das Ganze funktioniert wie ein Tauschgeschäft: Je mehr Rechte man bekommt, desto mehr Pflichten muss man übernehmen. „Rechte und Pflichten sind die zwei Schalen einer Waage. Mit Rechten ohne Pflichten wäre man ein König — mit Pflichten ohne Rechte ist man ausgebeutet“, sagt Neumann. Wer also mitbestimmen will, ob die Freunde am Wochenende zum Übernachten kommen dürfen, sollte beispielsweise seine Hausaufgaben zu einem bestimmten Zeitpunkt erledigt haben.
Aber nicht bei allen Themen macht es Sinn, mitreden zu wollen. Kann man die Entscheidung der Eltern mit großer Wahrscheinlichkeit nicht beeinflussen - etwa beim Kauf eines neuen Autos - muss man nicht unbedingt alles dransetzen und für sein Mitspracherecht kämpfen. Auch bei der Wahl des Sommerurlaubs wird man mitunter nur wenig Gehör finden. Trotzdem dürfen Jugendliche ihre Vorstellungen äußern, was sie im Urlaub gerne machen würde: „Mitreden ja, aber nicht entscheiden“, sagt Neumann.
Auch für Becker-Stoll gibt es Dinge, bei denen der eigene Einfluss gegenüber Erwachsenen begrenzt ist: „Aufsteh- und Schlafenszeiten unter der Woche sind nicht verhandelbar.“ Stattdessen könne man sich darauf konzentrieren, am Wochenende mitzubestimmen, wohin der Ausflug geht.
Besonders Teenager haben irgendwann das Bedürfnis, ihre Meinung durchzusetzen. Das Mitbestimmen muss aber nicht warten, bis die Kinder 15 oder 16 Jahre alt sind, findet Gerth. Bereits für Jüngere gibt es Themen, zu denen sie etwas sagen können: „Da geht es um alles, was den Alltag betrifft. Zum Beispiel, ob man am Wochenende auf den Spielplatz oder ins Schwimmbad geht.“ Auch im Haushalt könnten sie mitreden, bei der Frage „Wer macht was?“, meint Klaus Neumann. Er ist Beauftragter für das Kindeswohl beim Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP).
Ein wirksames Argument, um die Eltern von seinen Mitspracherechten zu überzeugen: „Jugendliche haben oft gute Ideen, auf die Erwachsene nicht immer kommen“, erklärt Gerth. Es ist also nicht ausgeschlossen, Mutter und Vater mit einem ungewöhnlichen Vorschlag auf seine Seite zu ziehen. Außerdem macht man deutlich: „Ich bin ein wertvoller Teil für die Familie“, sagt Klaus Neumann. Und wer sich ernst genommen fühlt, nimmt auch Vereinbarungen ernst, die den Eltern wichtig sind.
Gerth geht sogar noch einen Schritt weiter: Geben Eltern den Wünschen und Bedürfnissen ihrer Kinder Raum, lernt der Nachwuchs, sich auch anderen gegenüber tolerant zu zeigen. Das sei dann gelebte Demokratie. Möglicherweise ein Kompliment an Mutter und Vater, das nachhaltig wirkt.