Pflegende Männer werden wenig beachtet

Frankfurt/Main (dpa/tmn) - Waschen, füttern und anziehen - die Pflege von Angehörigen ist nicht nur Sache von Frauen. Immer mehr Männer übernehmen diese Aufgabe. Im Gegensatz zu Frauen holen sie sich öfter Helfer ins Boot und sind dadurch weniger schnell überfordert.

2,34 Millionen Menschen waren laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2009 pflegebedürftig. Sieben von zehn Pflegebedürftigen werden zuhause versorgt und betreut, großteils von ihren Angehörigen. Dass dabei viele Männer liebevoll zupacken, findet in der Öffentlichkeit kaum Beachtung. Und so fehlt es oft an Unterstützung.

„Zahlreiche Untersuchungen beziffern den Anteil der männlichen Hauptpflegepersonen im häuslichen Umfeld zwischen 27 und 37 Prozent“, sagt Prof. Manfred Langehennig, Sozialwissenschaftler an der Fachhochschule Frankfurt am Main. „Allerdings hält immer noch sehr viele Männer die Sorge, Familie und Beruf nicht mit einander vereinbaren zu können, davon ab, Angehörige zu pflegen“, ergänzt Elmar Gräßel, Leiter des Bereichs Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Psychiatrischen Universitätsklinik Erlangen.

Das spiegelt sich in der Altersstruktur wider: Die meisten Männer übernehmen die Pflege in einer viel späteren Lebensphase als Frauen, nämlich nach dem Berufsleben. „Männliche Angehörigenpflege ist überwiegend Partnerinnenpflege“, sagt Soziologe Langehennig. Das wesentliche Motiv dafür sei weniger ein Gefühl der Verpflichtung, sondern Liebe zur Ehepartnerin.

In der Praxis gibt es große Unterschiede zwischen pflegenden Männern und Frauen. „Männer analysieren zunächst detailliert die Rahmenbedingungen“, sagt Martin Rosowski, Hauptgeschäftsführer der Männerarbeit der EKD in Hannover. Dann organisieren sie den Pflegealltag. „Modelle, bei denen der Mann die Pflege übernimmt, zeichnen sich dadurch aus, dass mehrere Helfer eingebunden sind und verstärkt professionelle Hilfen in Anspruch genommen werden“, fasst Soziologe Langehennig zusammen.

Das gilt nicht für alle Bereiche der Pflege in gleichem Maße. „Vor allem bei körperlichen Pflegetätigkeiten haben Männer oft Hemmungen und größere Berührungsängste als Frauen“, beobachtet Hans Jochem Escherle, Mitbegründer der Initiative „Man(n) trifft sich“ in Würzburg. Zum Waschen, für die Intimpflege oder auch zum Füttern ziehen Männer daher gerne weibliche Angehörige oder auch einen ambulanten Dienst hinzu. Arbeiten im Haushalt, Medikamentengabe oder die Begleitung zum Arzt übernehmen Männer dagegen meist selbst, erläutert Psychologe Gräßel. Und EKD-Experte Rosowski sagt: „Körperliche Anstrengungen zum Beispiel beim Heben oder Umbetten fallen Männern oft leichter als Frauen.“

Die Motivation aus Liebe und die Inanspruchnahme von Hilfen wirken sich aus: „Männer sind weniger gefährdet, sich selbst zu überfordern“, beobachtet Rosowski. „Das ist etwas, was Frauen von Männern lernen können.“

Bei Pflegeexperten ist das Engagement der Männer in der häuslichen Pflege wohl bekannt. Öffentlich wahrgenommen werden jedoch vor allem pflegende Töchter, Schwiegertöchter und Ehefrauen. Manfred Langehennig sieht diese „feminine Einfärbung“ als eine große Hemmschwelle sowohl für Männer, die vor der Entscheidung stehen, Pflegeaufgaben zu übernehmen, als auch für Männer, die zögern, Hilfe anzunehmen.

Bildungs- und Beratungsangebote richten sich oft nicht an pflegende Männer. Dabei wäre genau diese Zielgruppe wichtig, nicht nur wegen ihrer anderen Herangehensweise an das Thema Pflege. „Viele Männer tun sich schwer, zu einer Beratungsstelle zu gehen, weil sie das als Eingeständnis von Schwäche werten“, analysiert Gräßel. „Sie müssen gezielt angesprochen werden und den Umgang mit solchen Angeboten lernen.“ Ist der Schritt einmal getan, profitieren Männer von der Abwesenheit der Frauen, sagt Hans Jochem Escherle: „Männer haben ganz andere Fragen als Frauen. Und sie möchten diese in Ruhe formulieren können. In gemischten Gruppen besteht immer die Gefahr, dass Frauen das Gespräch übernehmen.“

Durch die geringe öffentliche Präsenz fühlen sich pflegende Männer trotz ihrer großen Zahl oft als Außenseiter. Dabei stehen zusätzlich alte Rollenbilder im Weg. „Sie müssen sich bewusst machen, dass diese pflegerische Tätigkeit einen Selbstwert hat, den sie in dieser Form noch nicht kannten“, rät Psychologe Gräßel. Manch ein Mann entdecke so seine bislang unbekannte soziale Ader.