Schuldenfalle Krankheit: Wenn finanzieller Ruin droht
Frankfurt/Main (dpa) - Plötzlich bricht für den jungen Facharbeiter die Welt zusammen. Eigentlich geht es ihm rundum gut, die Zukunft scheint gesichert. Er hat geheiratet, ist Vater geworden. Für die Wohnungsrenovierung nimmt er einen Kredit auf, den er schnell zurückzahlen will.
Doch dann kommt die Diagnose: Multiple Sklerose. Das bedeutet Arbeitsunfähigkeit, Rente, drastischen Einkommensrückgang. Seinen Ratenkredit kann er nicht mehr bedienen. Er gehört damit schnell zu den „Überschuldeten“, die Schulden nicht aus eigenen Mitteln zurückzahlen können.
Bei der Schuldnerberatung der Verbraucherzentrale Hessen (VZH) bekommt der Mann den Rat, die Zahlungen einzustellen. Sein monatliches Einkommen liege unter der Pfändungsgrenze von 1078 Euro. „Er hat kein pfändbares Einkommen mehr“, sagt Beraterin Marion Schmidt. In einer solchen Lage sei es besser, den Kredit an die Wand zu fahren, denn „Existenzsicherung geht vor.“ Der Kredit wird gekündigt, die Forderungen an ein Inkassounternehmen übertragen. Die Schulden bleiben zwar bestehen, aber sie hätten für den jungen Mann keine Auswirkungen mehr, sagt Schmidt.
Chronische Erkrankungen sind nach Angaben des Paritätischen Gesamtverbands ein erhebliches Armutsrisiko. Selbst gut ausgebildete und voll berufstätige Menschen, die in jungen Jahren gezwungen seien, eine Erwerbsminderungsrente zu beantragen, hätten keine Chance, mit der zu erwartenden Rente jemals wieder aus der Armutsgefährdung herauszukommen. Den Betroffenen drohe die Überschuldung, sagt Verbandssprecherin Gwendolyn Stilling.
Krankheit, Sucht oder Unfallfolgen waren für jeden siebten Ratsuchenden bei einer Schuldnerberatung (13,5 Prozent) 2015 die Auslöser ihrer finanziellen Probleme. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts vom Donnerstag hatten die Betroffenen im Schnitt Schulden von 25 181 Euro. Neben Arbeitslosigkeit und Trennung vom Partner sei Krankheit einer der wichtigsten Gründe für Überschuldung, sagte Destatis-Experte Walter Joachimiak.
Nach Angaben des Paritätischen Gesamtverbands war 2015 jeder zehnte Bundesbürger über 18 Jahren überschuldet, insgesamt waren es 6,7 Millionen Bürger. Im Jahresgutachten 2016 des Verbands wird Überschuldung definiert als „fehlende Möglichkeit, laufende und zukünftige Verpflichtungen selbst bei Reduzierung auf lebensnotwendige Ausgaben aus eigenem Einkommen und Vermögen bestreiten zu können und so aus eigener Kraft in der Regel keine Möglichkeit mehr zu haben, die Situation zu überwinden.“
Deutlicher als bisher müsse der Zusammenhang von Überschuldung und Arbeitslosigkeit mit Suchterkrankungen und psychischen Erkrankungen beachtet werden. Schuldnerberatung müsse neben der finanziellen Beratung auch psychosoziale und gesundheitliche Aspekte in den Blick nehmen, fordert Verbandssprecherin Stilling.
Schuldnerberaterin Schmidt sieht den Zusammenhang täglich in ihrer Sprechstunde. Viel häufiger als Auslöser für Überschuldung sei Krankheit aber die Folge, sagt sie. 400 bis 500 Ratsuchende kommen jährlich zu ihr. Meist beginne die finanzielle Schieflage mit Arbeitslosigkeit oder Trennung vom Partner. „Die Ursache ist im seltensten Fall eine Krankheit.“
Meist sei es umgekehrt: Einkommensverlust, zu hohe Kredite, Zwangsvollstreckung, Gerichtsvollzieherbesuche - diese Lage könne krank machen. Arbeitslose, die keine Aussicht hätten, jemals wieder eine Stelle zu finden, rutschten in die Hoffnungslosigkeit: „Den ganzen Tag zu Hause sitzen und wenig Geld haben - da kommen Depressionen.“ Das stellt auch der Paritätische Gesamtverband fest. Depressionen seien die häufigste Folge von Überschuldung.