Ein Leben voller Kampf: Frühe Armut bleibt oft lange
Berlin (dpa) - Als junges Mädchen hat sie sich immer gewünscht, wie die anderen Kinder Karussell fahren zu können. Doch die Eltern hatten fast nie Geld dafür übrig. Und als sie groß war, hatte sie keine Lust mehr darauf.
Heute ist sie 56 und nach einiger Zeit als Sekretärin seit mehreren Jahren arbeitslos.
„Ich wollte schon gerne aus der Armut raus“, sagt die Frau aus Frankfurt/Main. Aber so recht geklappt hat es nicht - ihre schlechten Startchancen macht sie dafür verantwortlich. Fälle wie dieser zeigen die soziale Sprengkraft hinter der Zahl von aktuell 1,54 Millionen unter 15-Jährigen, die heute von Hartz IV abhängig sind - jedes siebte Kind.
„Das wird schon in der Kindheit aussortiert“, sagt Frankfurterin. Sie selbst habe erlebt, dass reichere Kinder immer wieder bevorzugt worden seien. „Da wurde alles in Bewegung gesetzt, dass die eine bessere Schule besuchen.“ Bei ihr hingegen sei alles immer irgendwie begrenzt gewesen. „Es war wie so eine unsichtbare Blase.“
Die Zahlen der Kinder mit Hartz IV schwanken - zuletzt gingen sie wieder etwas nach oben. Gut 30 000 mehr Kinder als im Vorjahr hatten zuletzt Hartz IV. Fünf Jahre vorher waren es insgesamt etwas mehr als heute - 1,6 Millionen. Die Frankfurter Sozialwissenschaftlerin Evelyn Sthamer hat untersucht, was das für die Kinder und Jugendlichen bedeutet. Sie spricht von einer „Verfestigung von Armut“. Viele schaffen es laut Sthamer ihr Leben lang nicht in die Mittel- oder Oberschicht. Sthamer hat für ihre Untersuchungen Gruppengespräche mit Arbeitslosen organisiert, aus denen auch das Beispiel der 56-Jährigen stammt. Wie die Frankfurterin erzählten dort viele vom lebenslangen „Kämpfen und Scheitern“, sagt Sthamer.
Insgesamt leben 19 Prozent aller Mädchen und Jungen unter 18 in armen Haushalten, wenn man als Kriterium ein Haushaltseinkommen unter 60 Prozent des Durchschnitts nimmt. Das sind gut 1900 Euro bei einer Familie mit zwei Kindern. Besonders betroffen sind Bremen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern - am wenigsten Bayern und Baden-Württemberg.
„Die Kinderarmut ist alarmierend“, mahnt Maria Loheide vom Vorstand der Diakonie. Gemeinsam mit 30 anderen Organisationen hat der evangelische Sozialverband einen Aufruf gestartet, um das Problem zu mindern. Die Verbände fordern vor allem höhere und klarer strukturierte Sozialleistungen. „Denn dort, wo die Not am Größten ist, kommt am wenigsten an“, sagt der Marburger Sozialethiker Franz Segbers.
Heute ist es so: Für Kinder bis 6 Jahren gibt es 237 Euro, von 6 bis 14 sind es 270 Euro, von 14 bis 18 dann 306 Euro. Zusätzlich können Hilfen aus dem Bildungs- und Teilhabegesetz beantragt werden - etwa ein Zuschuss fürs Schulmittagessen, 100 Euro im Jahr für Schulranzen, Hefte, Materialien oder auch monatlich bis zu 10 Euro für Beiträge in Sportverein oder Musikschule. Doch viele beantragen die Leistungen gar nicht, heißt es immer wieder. Für den Präsidenten des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, kein Wunder, sei das Ganze doch eine einzige bürokratische Antrags- und Kontrollveranstaltung. Und vom Kindergeld und dessen Erhöhungen haben Hartz-IV-Bezieher nichts - wird es doch als Einkommen angerechnet.
Höhere Sozialleistungen? Bei der zuständigen Fachministerin Andrea Nahles (SPD) stoßen die Sozialverbände da auf wenig Begeisterung. „Die Verbesserung von Transferleistungen führt nicht dazu, dass strukturell das Problem wirklich gelöst wird“, meint sie. „Kinderarmut ist immer ein bedrückendes Phänomen.“ Am meisten helfe aber, möglichst viele Menschen in einen Job zu bringen. Allerdings bleibt die Zahl der Langzeiterwerbslosen seit Jahren bei rund einer Million wie zementiert.