Spielen unter Gleichen - Flüchtlingskinder in der Kita
Düsseldorf (dpa) - Ian legt seinen Kopf fast auf den Boden, dann steuert er mit seinen kleinen Händen die Lok auf den Gleisen aus Holz. „Tuuuut!“, macht er. „Miiiiiep!“, stimmt sein Freund Kurt ein.
Ian und Kurt gehen zusammen in den Kindergarten.
Im großen Spieleraum diskutieren sie, wo die Bahnstrecke entlangführen soll. Im Sandkasten, ob sie gerade Schoko- oder Erdbeerpudding machen. Dass Ian mit seinen Eltern aus dem Irak geflüchtet ist, macht hier weder für Kurt noch für die anderen Kinder einen Unterschied.
„Kinder sind halt vorurteilsfrei“, sagt eine Erzieherin des Diakonie-Familienzentrums Am Hackenbruch in Düsseldorf. 122 Kinder gehen in die Kita. 60 Prozent von ihnen haben Migrationshintergrund, einige wie Ian „Fluchterfahrung“, wie Leiterin Sabine Kucharczyk sagt. „Aber das muss man nicht thematisieren. Bei uns sind alle willkommen.“ Die Kinder kommen aus Deutschland - oder aus Afghanistan, Syrien, dem Kosovo, Indien oder Eritrea.
Ians Familie ist vor fast drei Jahren aus Bagdad geflüchtet. „Wir waren erst in Thüringen“, erzählt Marwa Anaee, Ians Mutter. Vor zwei Jahren kamen sie nach Düsseldorf und schickten ihren Sohn in die Kita. „Hier sind die Leute locker“, sagt sie. Ob bei Ausflügen in den Zoo, beim Grillen oder Frühstücken mit anderen Kita-Eltern: Die 30-Jährige hat über das Familienzentrum Anschluss und Freunde gefunden. Wenn sie das erzählt, strahlt sie. Und über ihren rot-blonden Jungen sagt sie stolz: „Er spricht Deutsch besser als Arabisch und besser als seine Mutter und sein Vater.“
Geht ein Flüchtlingskind in die Kita, bedeute das vor allem: Rauskommen aus den Gemeinschaftsunterkünften hinein in eine kindgerechte Umgebung, wie Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat NRW sagt. „Sie können Kontakte knüpfen zu anderen Kindern, die keine Fluchtgeschichte haben, die ganz unbeschwert sind.“
Asylbewerber- und Flüchtlingskinder haben in Deutschland denselben Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz wie alle Kinder: vom vollendeten ersten Lebensjahr an. 80 000 zusätzliche Plätze im Jahr bräuchte man allerdings, um bei den Flüchtlingen eine ähnliche Betreuungsquote zu erzielen wie bei den bereits hier lebenden Kindern. Diese Rechnung macht das Bundesfamilienministerium ausgehend von rund einer Million Flüchtlinge im Jahr 2015. Jugendämter und Träger versuchen demnach, eine umfassende Versorgung der Kinder sicherzustellen. „Dennoch ist die Betreuungsquote unter Flüchtlingskindern noch eher gering“, sagt eine Ministeriumssprecherin.
Ian habe sich in den ersten ein, zwei Monaten in der Kita geärgert, weil er nicht mit den anderen Kindern reden konnte, erzählt seine Mutter. Mittlerweile tobt er mit ihnen - und spricht Deutsch so gut wie alle anderen. „Am Wochenende hab ich Eis gekauft mit meinem Papa und mit meinem Bruder“, berichtet er im Stuhlkreis. „Und wir haben Matschepampe gemacht auf dem Spielplatz.“
Die vierjährige Safa aus Syrien ist nicht ganz so stürmisch wie Ian. Heute hat sie Tischdienst und schiebt den Geschirrwagen behutsam durch den Flur. Sonst puzzelt sie oder malt gerne. „Sie ist unglaublich kreativ“, sagt die Erzieherin. Sie merke nicht, dass die Flucht die Kleinen belaste. Dann erinnert sie sich, dass ein Kind einmal ein Schiff gemalt habe. Sie habe direkt an die Flüchtlingsboote denken müssen. „Aber ich dachte auch: Das will ich mal nicht überbewerten. Aber wir müssen sensibel sein, wir wissen nicht, was daraus in Jahren wird.“
Und längst nicht alle fühlen sich für die Herausforderungen mit Flüchtlingskindern gewappnet: Eine Umfrage unter fast 2100 Kitaführungskräften ergab, dass sich 98 Prozent der Befragten nicht optimal auf die neuen Aufgaben vorbereitet fühlen. Und obwohl weder die kleine Safa noch Ian Auffälligkeiten im Verhalten zeigten: „Inklusion, Flucht - wir bekommen so geballte Anforderungen, dass die Politik Gruppen- und Personalgröße überdenken muss“, sagt Kucharczyk.
„Kann ich die Schippe haben?“, fragt Ian seinen Freund Kurt draußen im Sandkasten. Die beiden ärgern sich kurz, dann spielen sie weiter. „Heute gibt's Pudding!“, ruft Kurt. „Schokopudding mit Erdbeeren oder Schokopudding mit Pizza?“, fragt Ian. Alles andere ist Nebensache.