Weltgedenktag „Sternenkinder“ bleiben unvergessen
Homburg (dpa) - Es gibt Sätze, die man nicht vergisst. Bei Anika Müller aus Rheinland-Pfalz war es dieser: „Was ist denn das?“ Ausgesprochen von ihrem Frauenarzt, als er die damals 27-Jährige, die in der 18. Woche schwanger war, mit Ultraschall untersuchte.
„Und dazu kam dann noch der Tonfall. Den werde ich nie vergessen.“
Zwölf Jahre sind seitdem vergangen. Doch der Schmerz, dass ihre Tochter Elisabeth so schwere Fehlbildungen hatte, dass sie sterben musste, ist noch immer groß. Und auch das Schuldgefühl, die Schwangerschaft selbst beendet zu haben.
Noch immer nimmt die Biologisch-Technische Assistentin aus Fohren-Linden professionelle Hilfe in Anspruch, um das Erlebte zu verarbeiten. Doch die 39-Jährige weiß, wie wichtig auch der Austausch unter Betroffenen ist: Deshalb gründete sie im Herbst 2007 den Gesprächskreis „ Sternenkinder Homburg/Saar“.
„Es ging mir darum, einen geschützten Raum für Eltern zu schaffen, die ihr Kind verloren haben“, sagt sie. Ein Angebot, das einmal im Monat von etwa einem Dutzend Betroffener genutzt wird. Bei manchen liegt das Trauma, ein Kind tot zur Welt zu bringen, erst wenige Wochen zurück, bei anderen schon einige Jahre. Doch bei allen ist das Bedürfnis groß, darüber zu sprechen und sich verstanden zu fühlen.
„Viele sagen, es ist gut, dass man nichts erklären muss“, sagt Martina Brennecke (34) aus Homburg, die die Gruppe seit 2012 leitet. „Hier versteht jeder, was der andere meint und fühlt. Hier gibt es einen Austausch auf Augenhöhe.“
Und hier weiß jeder, wie verletzend so manche „wohlgemeinten“ Sprüche von Außenstehenden sind. „Für mich war immer das Schlimmste, wenn ich gesagt bekam: Du bist doch noch so jung, du kannst noch so viele Kinder bekommen“, sagt Brennecke. Die Krankenschwester musste vor sieben Jahren ihre erste Schwangerschaft beenden, weil auch ihr Kind so schwere Fehlbildungen hatte, dass es nicht überlebensfähig gewesen wäre. Den Namen ihres Sohnes nennt sie nur im kleinen, vertrauten Kreis. „Die wenigen Erinnerungen, die ich an ihn habe, sind so wertvoll, dass ich sie nicht mit Fremden teilen will“, gibt sie zu.
Und noch etwas hat sie für sich inzwischen entschieden: „Es gibt Begriffe, die lehne ich ab. Zum Beispiel, zu sagen: Ich habe mein Kind verloren.“ Denn: „Ich habe es nicht verloren. Es ist gestorben.“ Auch die Formulierung, dieses Erlebnis „abzuschließen“, weist sie zurück. „Es wird nie einen Abschluss geben, weil es immer mein erstes Kind ist und bleibt“, sagt sie. Daran ändert auch die Geburt ihrer Tochter Judith vor fünf Jahren nichts. „Sie wächst auf mit dem Wissen, da ist noch jemand gewesen.“
Jemand, an den man denkt und von dem man spricht, den man auf dem Friedhof besucht oder für den man eine Kerze anzündet. An den Geburtstagen zum Beispiel. Oder auch am zweiten Dezember-Sonntag, dem „Worldwide Candle Lighting“, dem Weltgedenktag für verstorbene Kinder. Auf allen Kontinenten zünden Eltern um 19 Uhr eine Kerze an und stellen sie für eine Stunde ans Fenster.
„Jedes Licht im Fenster steht für das Wissen, dass diese Kinder das Leben erhellt haben und nie vergessen werden“, heißt es beim Bundesverband Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland e.V. (Veid) in Leipzig. Pro Jahr sterben laut dem Verband über 20 000 Kinder in Deutschland. „Das Licht steht auch für die Hoffnung, dass die Trauer das Leben der Angehörigen nicht für immer dunkel bleiben lässt.“ Bundesweit finden an diesem Tag Gottesdienste und Gedenkveranstaltungen statt.
Auch Anika Müller hat sich damals - nur acht Wochen nach dem Tod ihrer Tochter - an der Lichteraktion zum „Sternenkinder“-Tag beteiligt. „Zu wissen, dass überall auf der Welt Eltern solche Kerzen anzündeten, hat mich richtig getröstet“, blickt sie zurück. „Es hat mich aus der Lethargie herausgeholt und tat mir gut.“
Vieles hat sich seitdem verändert. Heute sind neben ihrem Mann auch ihre Söhne Paul (10) und Jakob (4) an ihrer Seite. Doch die Erinnerung an Elisabeth bleibt lebendig. Auch, wenn das Entzünden einer Kerze am nächsten Sonntagabend inzwischen weniger Ausdruck der persönlichen Trauer als vielmehr eine „Solidaritätsbekundung“ sei: „Um all jenen, die das Gefühl haben, sie seien die einzigen Menschen, die so etwas tragen müssen, zu zeigen: Sie sind nicht allein.“