Trauer nach einem Suizid: Angehörige quälen viele Fragen
München (dpa/tmn) - Fast 10 000 Menschen begehen in Deutschland jährlich einen Suizid. Bei den Angehörigen bleiben Schmerz und Wut über den Verlust. Die Frage nach dem Warum dominiert oft die Trauer.
Wie soll man mit ihr umgehen?
Die Nachricht von einem Suizid löst fast immer einen Schock aus. „Das ist das Gleiche wie die Nachricht von einem Unfall oder Herzinfarkt - es ist ein plötzlicher Todesfall“, erklärt Hans Doll, Geschäftsführer der Suizid-Beratungsstelle Die Arche in München. Egal, ob es vorher Versuche oder schwere Depressionen gab: Niemand kann mit einer Selbsttötung rechnen.
Nach dem ersten Schock sind die Hinterbliebenen oft ungläubig: „Sie können es nicht fassen und brauchen handfeste Beweise.“ Die besonderen Todesumstände lösen die Suche nach Anzeichen aus, erklärt Doll: „Angehörige stellen sich die Schuldfrage: Habe ich etwas übersehen, habe ich etwas versäumt?“
Oft geben sich Hinterbliebene selbst die Schuld, erklärt Elisabeth Brockmann vom Verein Angehörige um Suizid. Oder sie übertragen diese auf Kollegen oder Therapeuten, die engeren Kontakt zu dem Verstorbenen hatten. Nicht zuletzt geben Angehörige auch dem Toten selbst die Schuld: Warum hat er sich nicht helfen lassen?
Obwohl sich die Schuldfrage nur schwer beantworten lässt, ist sie dennoch wichtig: „Schuld macht Sinn in der Trauerbewältigung“, sagt Brockmann. Wer Schuldzusammenhänge erkennen kann, tut sich leichter damit, den Suizid einzuordnen und zu verarbeiten.
Die Frage nach der Schuld macht aber nur einen Teil der Bewältigung eines Suizids aus. Ein anderer, großer Teil besteht aus der Wut, die Familienmitglieder oder Freunde auf den Verstorbenen haben, sagt Doll. Die Wut, dass er nicht an seine Angehörigen gedacht hat. „Diese Wut muss in der Trauerarbeit zugelassen werden“, erklärt Doll.
Laut Renata Bauer-Mehren vom Münchner Institut für Trauerpädagogik empfinden Hinterbliebene den Suizid oft als Aggression ihnen gegenüber. Hier müssten Angehörige akzeptieren, dass Suizidgefährdete einen Tunnelblick haben: „Sie denken an gar nichts, außer an das Ende.“
Die Trauerarbeit nach einem Suizid teilt Doll in zwei Phasen: Zunächst müssten die Hinterbliebenen akzeptieren, dass sie die Gründe für den Suizid nie ganz klären können. „Anschließend kann die Trauer um den Verlust in den Vordergrund rücken.“ Diese Phasen müssen nicht nacheinander ablaufen, sie können sich auch zyklisch wiederholen.
Ein erster Schritt sei, nicht im Schema von Ursache und Wirkung zu verharren: „Es gibt nicht die eine Ursache, sondern mehrere. Oft gibt es eine Vorgeschichte, was im Leben alles nicht geglückt ist.“
Gegenüber anderen versuchen Angehörige, die Todesursache zu verheimlichen. „Angehörige sind scheu, weil sie eine äußere Schuldzuweisung befürchten“, sagt Doll. Er rät allerdings, zu dem Suizid zu stehen. Leugnen behindere den Trauerprozess.
Mit einem Suizid umzugehen, fällt aber nicht nur Angehörigen schwer. Auch Außenstehende wissen nicht, wie sie reagieren sollen. „Trösten ist schwierig, mitaushalten ist besser“, erklärt Brockmann. Freunde oder Bekannte können da sein und zuhören.
Schwierig ist es auch, Kinder mit einem Suizid zu konfrontieren. Oft wird ihnen nicht die ganze Wahrheit erzählt, um sie zu schützen. Hier gilt laut Doll, nur so viel zu sagen, wie Kinder wissen wollen. „Das Schlimme kann man ihnen nicht mehr ersparen, es ist schon passiert“, ergänzt Brockmann. Außerdem bestehe die Gefahr, dass Kinder von anderen über die Selbsttötung erfahren.