Vom Verräter zur Lichtgestalt: 50 Jahre Zivis

Köln (dpa) - Kurz bevor der Zivildienst dieses Jahr abgeschafft oder offiziell ausgesetzt wird, feiert er noch sein 50-jähriges Bestehen. „Ersatzdienstleistende“ der ersten Stunde erinnern sich.

„Weichei“ sagte man damals noch nicht. Die Begriffe waren so kurz nach dem Krieg militärisch geprägt: Drückeberger, Verräter. So musste sich Armin Beier, heute 71, von seinen Vorgesetzten und Kollegen nennen lassen, als diese Anfang der 60er Jahre erfuhren, dass er den Wehrdienst verweigert hatte und stattdessen einen „Ersatzdienst“ leisten würde. „Das waren alles ehemalige Wehrmachtssoldaten“, erinnert sich Beier. Am 10. April 1961 hatten die ersten „Ersatzdienstleistenden“ angefangen. Demnach wird der Zivildienst am Sonntag 50 Jahre alt - kurz vor der Aussetzung oder faktischen Abschaffung.

Beier gehörte zwar nicht zu den Ersatzdienstleistenden der ersten Stunde - er absolvierte seinen Dienst von 1963 bis 1964 -, aber das Unverständnis, auf das er stieß, war noch genauso groß wie ganz am Anfang. Erst einige Jahre nach der 68er Revolution stieg die Zahl der Verweigerer sprunghaft an. Und dann dauerte es noch einmal bis in die 80er Jahre, ehe die Entwicklung zu einer Lichtgestalt der bürgerlichen Gesellschaft einsetzte. Insofern spiegelt sich im „Zivi“ die Geschichte der Bundesrepublik von der durchaus noch autoritär geprägten Nachkriegszeit zur staatskritischen Zivilgesellschaft.

Die viel geschmähten Zivis der Anfangsjahre dürfen sich im Rückblick eindrucksvoll bestätigt fühlen. Aber so empfinden es nicht alle. Martin Dolde (69) zum Beispiel, der seine Verweigerung 1961 einreichte, bedauert es, dass dieser Schritt später fast zu einer Formsache wurde. „Das fand ich zu einfach“, sagt er. „Die straffe, harte Form habe ich besser gefunden.“

Er selbst wurde zwei Stunden lang von sechs oder sieben Leuten befragt. Es war ein hochnotpeinliches Verhör. Dolde - später Präsident des Evangelischen Kirchentages - hatte seine Verweigerung religiös begründet. Die Prüfungskommission hatte sich dementsprechend mit Bibeln gewappnet und las ihm die Stelle vor, in der Jesus recht handgreiflich die Händler aus dem Tempel jagt. Dolde argumentierte, dass er nicht grundsätzlich in jedem Fall gegen Gewalt sei, es aber ablehne, auf Menschen zu schießen, die er nicht kenne und mit denen ihn unter anderen Umständen eine Freundschaft verbinden könnte. „Ich war immer heilfroh, dass ich das gemacht habe.“

Auch bei Ulli Thiel (67) ergab sich die Verweigerung aus seiner christlichen Überzeugung. „Ich war der erste Zivildienstleistende in Karlsruhe“, sagt er. Sein evangelischer Pfarrer hatte ihn ein Referat zum Thema Kriegsdienst halten lassen, reagierte dann aber entsetzt, als Thiel daraus für sich die Konsequenz zog, dass er nicht auf Menschen schießen wollte. Thiel wurde später Geschäftsführer der pazifistischen Deutschen Friedensgesellschaft. Seine Bilanz: „Bis zur gesellschaftlichen Anerkennung der Zivis war es doch ein sehr langer, steiniger Weg, was heute manchmal vergessen wird. Junge Leute können sich das ja auch gar nicht mehr vorstellen.“

Philipp Greyff (20) ist einer der letzten Zivis - er arbeitet zurzeit in einer Kölner Behinderten-Werkstatt. Als er erfuhr, dass der Zivildienst in diesem Jahr ausgesetzt werden würde, hat er sich zunächst „schon geärgert, dass mich das noch erwischt hat“. Aber inzwischen hat sich seine Haltung geändert: „Im Nachhinein bin ich eigentlich ziemlich zufrieden, dass ich diese Erfahrung noch machen konnte.“ Auf dem Höhepunkt seines Ansehens verschwindet der Zivi aus dem deutschen Alltag. Die Bundesrepublik verliert ein Stück Identität.