Wahlrecht bis Frauenquote: 100 Jahre Frauentag

Berlin (dpa) - Frauentag - ist das nicht irgendwas aus der DDR? Weit gefehlt. Den ersten deutschen Frauentag gab es vor 100 Jahren. Seitdem haben Frauen nicht mehr aufgehört, mehr Rechte einzufordern.

Sie tragen lange schwarze Röcke, Rüschenblusen und Strohhüte mit üppigem Blumenschmuck: Die erste deutsche Frauentags-Demonstration vor 100 Jahren sieht auf alten Fotos aus wie ein harmloser Frühlingsspaziergang. Doch die Frauen in Berlin wussten ganz genau, was sie wollten: das Wahlrecht. Seit März 1911 haben sie noch viel mehr für sich erreicht.

Heute schaffen Frauen die besseren Abschlüsse, und Deutschland hat die erste Kanzlerin. Aber das ist eben noch nicht alles. Wie war das mit den Vorstandssesseln in deutschen DAX-Unternehmen? Wer nimmt Elternzeit? Und wer putzt das Bad?

Wegen genau dieser Fragen schätzt Henny Engels, Geschäftsführerin des Deutschen Frauenrats, den Frauentag noch immer. Der 8. März ist für sie ein Datum, um Bilanz zu ziehen. „Wir brauchen diesen Tag. Bis Frauen davon überzeugt sind, dass sie wirklich die gleichen Chancen haben wie Männer.“ Aus ihrer Sicht liegt einiges im Argen.

Es beginnt mit den Stereotypen in der deutschen Gesellschaft, in der sich westdeutsche Rollenbilder aus den 50er Jahren hartnäckig tradieren: Frauen haben die Hauptverantwortung für die Familienarbeit, Männer sind für den Familienunterhalt zuständig. Selbst der Mauerfall 1989 und die komplett andere Lebens- und Berufserfahrung ostdeutscher Frauen rüttelte an diesen Einstellungen wenig. Junge Ostdeutsche begannen eher, sie zu kopieren.

Das hat Folgen. „Viele Frauen haben heute kein existenzsicherndes Erwerbseinkommen“, bedauert Engels. Steuergesetze wie das Ehegattensplitting beförderten das noch. Ohne Frauenquote sieht sie kaum eine Chance auf Veränderung. Diese Quoten könne man Unternehmen aber nur als ökonomischen Vorteil schmackhaft machen. Gemischte Teams arbeiteten nachweislich effizienter.

Was Stereotypen bedeuten können, erlebt auch Marion Esch an der Technischen Universität Berlin. Sie ist Professorin für Qualität und Chancengleichheit in der Ingenieursausbildung. Wenn sie ihren Studentinnen französische Unternehmerinnen vorstellt, fragen die jungen Deutschen schnell nach Kindern. „Partner oder Betreuung“, antworten die Französinnen. „Also wir würden unsere Kinder nicht weggeben“, sagen dann deutsche Hochschülerinnen. Und dann fällt es wieder, ein Wort, das es im Französischen nicht gibt: Rabenmutter.

Das ist der Punkt, an dem Marion Esch seufzt und sagt: „Frauen haben die Familie im Nacken, Männer haben sie im Rücken.“ Zwar haben Frauen beim Thema Bildung die Männer überholt. Im Jahr 2010 schafften nach der druckfrischen Tabelle des Statistischen Bundesamts 55 Prozent Mädchen das Abitur und nur 45 Prozent Jungen. Auch bei Studienabschlüssen haben Frauen mit mehr als 50 Prozent die Nase vorn. Aber danach kippt es: Die gut bezahlten Spitzenjobs in der Industrie oder an Hochschulen angeln sich vor allem Männer.

Ein Erklärungsversuch? „Es sind riskante Karrieren“, berichtet Esch. Mit Anfang 30 herrsche bei Akademikern die berufliche und familiäre Hochbelastungsphase. Viele Männer stiegen da voll ein, oft mit einer Frau als Rückendeckung. Viele Frauen aber wollten Kinder und steckten automatisch zurück. Die Mehrheit biege nach einem Ingenieurstudium in den öffentlichen Dienst ab, sagt Esch.

Gut bezahlte Jobs locken dort selten, eher die Option auf Teilzeit-Jobs und ein Gleichstellungsgesetz, das es in der Privatwirtschaft nicht gilt. Viele Frauen machen auch Familienpause. Dazu sagt Marion Esch: „Ein Ausstieg ist der Killer jeder Karriere.“ Sie würde lieber die kulturell gewachsene Selbstverständlichkeit durchbrechen, die Frauen automatisch die Familienarbeit aufbrummt. Als Lösung sieht auch sie nur eine Quote. „Sonst geht das noch 200 Jahre so weiter.“

Zum 100. Frauentag gibt es an diesem 8. März keine Massendemos mehr. Dafür kommen Statistiken auf den Tisch. Frauen in Führungspositionen? Kein Chefsessel eines deutschen DAX-Unternehmen ist von einer Frau besetzt. Nur 6,5 Prozent der Aufsichtsräte und Vorstände großer börsennotierter Unternehmen sind weiblich, hat eine Managerinnen-Initiative im Februar errechnet. Die kurze Diskussion über die Notwendigkeit von Frauenquoten ist schon wieder verebbt. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) trat auf die Bremse.

So bleibt wohl alles beim Alten. Frauen tragen die Hauptlast der unbezahlten Arbeit im Haushalt. ihr berufliches Fortkommen wird dadurch erschwert, heißt es in der jüngsten Analyse des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat errechnet, dass Chefinnen in der Privatwirtschaft rund 28 Prozent weniger Geld verdienen als Chefs - und dazu noch deutlich mehr Familienarbeit leisten. Typische Frauenberufe wie Erzieherinnen sind weiter schlecht bezahlt, obwohl Bildungspolitiker deutlich auf ihre Schlüsselfunktion hinweisen.

Und was ist mit dem „neuen Mann“, der im Haushalt hilft und sich um die Kinder kümmert? Nach Studien des Bundesfamilienministeriums existiert dieses Wesen fast ausschließlich in der Fantasie von Männern. Fragt man ihre Frauen, helfen nur sieben Prozent der Männer regelmäßig beim Kochen, Putzen, Waschen und Aufräumen. Die Mehrheit junger Männer stimmt den folgenden Sätzen aus ganzem Herzen zu: „Im Idealfall führt die Frau den Haushalt und erzieht die Kinder. Der Mann ist eine Ergänzung, der am Wochenende mal mit den Kindern auf den Spielplatz geht.“ Befragt nach ihren Tätigkeiten im Haushalt antworteten Männer spontan: „Autowaschen“.