Warum der Handy-Chat der Liebe nicht nur guttut
Hamburg (dpa/tmn) - „Ich liebe dich“, und dann noch zwei Herzchen - dank Smartphone war es noch nie so leicht, rund um die Uhr mit der oder dem Allerliebsten in Kontakt zu sein.
„Früher hat man einen Zettel an den Spiegel geklebt oder eine Nachricht in die Butterbrotdose gelegt, heute schickt man sich solche Nachrichten mit dem Handy“, sagt Jörg Wesner, Diplom-Psychologe und Paartherapeut aus Hamburg. „Das ist zunächst ganz einfach eine gute Möglichkeit, seine Zuneigung zum Ausdruck zu bringen.“ Durch den lieben Gruß weiß der Partner: Ich denke an Dich. Und das fühlt sich gut an.
Trotzdem sorgen die kurzen Nachrichten in vielen Beziehungen für Stress. Wer schreibt, hofft auf schnelle Antwort und ist enttäuscht, wenn der oder die Liebste nicht reagiert. Und der Empfänger ist womöglich genervt, weil gerade die zehnte Herzchen-Botschaft binnen einer Stunde auf dem Sperrbildschirm aufblinkt. „Viele erwarten, dass der Partner permanent für sie verfügbar ist“, hat Paartherapeutin Andrea Bräu aus München beobachtet. Dass beide bei der Online-Kommunikation auf gleicher Wellenlänge funken, sei eher selten: „Die meisten Männer fassen sich kürzer und schreiben weniger Botschaften als Frauen.“
Welche Auswirkungen dieses Ungleichgewicht auf die Partnerschaft hat, erforscht Manuela Sirrenberg, Psychologin an der Universität Eichstätt-Ingolstadt: „Ungleichgewichte sind in einer Partnerschaft mit einer geringeren Beziehungsstabilität und mit einer höheren Trennungsabsicht verbunden“, erläutert sie. Die Befragung von mehr als 500 Menschen habe gezeigt: „Das gilt auch für die mediale Kommunikation.“ Wenn einer der Partner immer das Gefühl hat, dass seine Botschaften ins Leere laufen oder nicht richtig gewürdigt werden, dann stellt er die Beziehung schneller in Frage.
Denn oft kommt auch Eifersucht ins Spiel. Der Partner antwortet nicht, obwohl die Statusmeldung verrät, dass er online ist. Womöglich kommentiert er stattdessen gerade die neuesten Bilder seiner Ex-Freundin auf Facebook. „Wenn ich eifersüchtig sein will, bekomme ich über die sozialen Netzwerke viel mehr Verdachtsgelegenheiten“, sagt Paartherapeut Wesner. Warum chattet die Freundin neuerdings so viel mit diesem neuen Kollegen? Und warum nennt ihr Friseur sie Schatzi? Ein paar freundliche Worte, ein unverbindlicher kleiner Flirt, früher so schnell vergessen wie ausgesprochen, werden nun oft für jedermann lesbar aufgeschrieben. Und bekommen dadurch ein viel größeres Gewicht.
Psychologin Manuela Sirrenberg stellte bei der Auswertung ihrer Befragungen fest: „Menschen mit hohen Eifersuchtswerten lesen Nachrichten anders.“ Sie reagierten misstrauisch auch auf ganz neutral formulierte Botschaften. „Das gilt vor allem für Menschen, die sich in ihrer Beziehung unsicher fühlen.“
Paartherapeutin Andrea Bräu kann das aus ihrer Beratungsarbeit bestätigen. „Eifersucht hat viel mit Selbstbewusstsein zu tun“, sagt sie. Wer eher unsicher sei, den treibe die Sorge um, dass dem Partner andere Menschen wichtiger sind. Zugleich sehne er sich nach möglichst viel Bestätigung. Smartphone-Kommunikation kann dann gleich doppelt misslingen: Die Liebesbotschaft via Smartphone bleibt unbeantwortet, und der Partner hat gleichzeitig womöglich Kontakt mit vermeintlichen Konkurrenten. „Mediale Kommunikation ist vor allem in unsicheren Beziehungen ein Stressfaktor“, resümiert Psychologin Sirrenberg.
Dem schnellen Chat fehlen wichtige Elemente des Gesprächs von Angesicht zu Angesicht: „Ich kann nicht erkennen, ob der Partner aufmerksam zuhört, ob er etwas nicht verstanden hat oder ob er sich langweilt“, sagt Andrea Bräu. Bei Paaren, „die ähnlich ticken“, können die schnellen Nachrichten trotzdem gut funktionieren. Wenn beide aber feststellen, dass die Handy-Nachrichten mehr nerven als erfreuen, sollten sie Konsequenzen ziehen. Etwa indem sie vereinbaren, dass beide ihren Online-Status verbergen.
Streiten sollten Paare per Textnachricht auf gar keinen Fall, sagt Jörg Wesner: „Das kann nur schiefgehen, weil der Partner nicht erkennt, in welcher Stimmung der andere seine Kritik äußert.“ Will er nur anmerken, dass er abends gern in ein anderes Restaurant gehen würde? Oder kocht er vor Wut? Ist die Bemerkung humorvoll-ironisch gemeint - oder bitterernst? Je kürzer die Botschaft, umso mehr Raum bleibe für Missverständnisse, sagt Wesner.
Wenn ein Streit schon schriftlich ausgetragen werden müsse, dann in einer E-Mail oder - ganz klassisch - in einem Brief: „Dafür nimmt man sich mehr Zeit, schreibt in ganzen Sätzen und liest meist alles auch noch einmal durch, bevor man es absendet.“ Das schafft Abstand und nimmt manchem Vorwurf die Schärfe. Und auch die eigentliche Funktion des Smartphones gerate viel zu oft in Vergessenheit, sagt Wesner: „Statt unzählige Nachrichten hin und her zu schicken, wäre manches Problem mit einem Telefonat viel schneller gelöst.“