„Weihnukka“: Kugeln und Davidstern zusammen am Baum
Hamburg (dpa) - Lebkuchen und Latkes, Tannenbaum und Chanukka-Leuchter - in vielen Familien vermischen sich in diesem Dezember christliche und jüdische Bräuche. „Weihnukka“ ist für viele längst selbstverständlich - dabei ist der Begriff einst aus Spott entstanden.
In letzter Minute ist der Tannenbaumschmuck mit der Post aus den USA gekommen. Jetzt glitzert er golden auf der Spitze des drei Meter großen Tannenbaums: Ein Davidstern. Der Besitzer des Baums steht davor und strahlt vor Glück. Es ist das erste Mal, dass er einen Tannenbaum geschmückt hat. So ungewöhnlich wie die Tannenbaumspitze ist auch der andere Schmuck: Neben Kerzen und Lametta leuchten bunte Lichterketten mit jüdischen Symbolen. „War gar nicht so leicht, das alles zu bekommen“, erzählt Arnold Simmenauer in Hamburg grinsend.
Eigentlich spielt Weihnachten für den 23-Jährigen keine Rolle. Er ist Jude, beschreibt seinen Glauben als „liberal“. Er feiert Chanukka, das Pendant zum christlichen Weihnachtsfest. Es erinnert an das Öl-Wunder: Als im 2. Jahrhundert v. Chr. Griechen den jüdischen Tempel in Jerusalem zerstörten, blieb ein Fässchen Öl über. Es reichte genau acht Tage - Zeit genug, um neues geweihtes Öl herzustellen. Das Lichterfest beginnt am 25. Kislew, dem neunten Monat des jüdischen Kalenders - und das liegt in jedem Jahr anders, Nur manchmal überschneiden sich die Feiertage. So wie in diesem Jahr.
„Als ich das gesehen habe, stand fest: Ich will Weihnukka feiern“, erklärt Simmenauer. Nicht aus religiösen Gründen, sondern weil er die Kombination schön findet. „Weihnachten passt zu Chanukka, weil es auch mit Lichtern zu tun hat. Und es repräsentiert meine Kultur.“ So steht neben dem großen Weihnachtsbaum vor seinem „Café Leonar“ im Hamburger Grindel-Viertel, dem ersten jüdischen Café in der Hansestadt, auch das Symbol für Chanukka: der achtarmige Leuchter.
Zwei Kerzen am Leuchter brennen bereits, seit dem 20. Dezember zündet Simmenauer jeden Tag in der Abenddämmerung eine weitere an - bis alle acht leuchten. Die öffentliche Feier im ehemaligen jüdischen Viertel Hamburgs ist ihm wichtig: „So können viele Menschen daran teilhaben und mehr über die jüdische Kultur erfahren, die früher den Stadtteil geprägt hat.“
„Eigentlich haben die beiden Feste nichts gemeinsam - außer, dass sie beide theologisch keine Bedeutung haben und hier in der dunklen Jahreszeit sind“, sagt Cilly Kugelmann, Leiterin des jüdischen Museums in Berlin, das vor einigen Jahren eine „Weihnukka“-Ausstellung präsentierte. Die Weihnachtstradition sei etwas sehr deutsch-jüdisches: Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert habe es in Deutschland bürgerliche jüdische Familien gegeben, die Weihnachten und Chanukka feierten. Aus Spott über diese Mitgläubigen sei im innerjüdischen Dialog der Begriff „Weihnukka“ entstanden.
Heute sind es ihrer Erfahrung nach vor allem interkonfessionelle Familien, die „Weihnukka“ feiern. Religion spiele dabei eine untergeordnete Rolle. Dennoch findet Cilly Kugelmann, dass die Idee dahinter etwas „sehr Sympathisches“ habe.
Auch Arnold Simmenauer hat so die Bräuche beider Feste kennen gelernt. Sein Vater ist Christ, seine Mutter Jüdin. „Früher haben wir beides gefeiert, es aber nicht gemischt“, erzählt er. Nach dem Familienessen am 24. Dezember gab es für ihn und seinen Bruder Geschenke - und bei den christlichen Großeltern natürlich auch einen Weihnachtsbaum.
Traditionell gibt es beim jüdischen Lichterfest keine Geschenke, sondern das Chanukka-Geld. Mittlerweile habe sich bei vielen interkonfessionellen Familien die Tradition gebildet, an jedem der acht Tage ein kleines Geschenk zu machen. „Vielleicht eine Analogie zum Adventskalender.“
Nicht die einzige Ähnlichkeit: So undenkbar eine Vorweihnachtszeit ohne Lebkuchen wäre, so undenkbar wäre Chanukka ohne Latkes, kleine Kartoffelpuffer. Und neben den Chanukka-Münzen können Kinder beim Dreidel-Spiel auch Schokolade gewinnen.
Geschenke werden in Arnold Simmenauers Familie nicht mehr verteilt, seitdem er und sein Bruder älter sind. „Ich finde es schöner, sich zwischendurch was zu schenken, als zu einem bestimmten Termin“, erklärt der 23-Jährige. Weihnachten feiert er in diesem Jahr aber auch ganz klassisch: Mit der christlichen Familie seiner Freundin. Und für sie mache er auch bei den Geschenken eine Ausnahme.