Die Luft aus den Paketen holen - Online-Versand ringt um Effizienz
Berlin (dpa) - Von Amazon bis Zalando: Die Deutschen kaufen immer mehr online. Lieferdienste bringen Paket um Paket an die Haustür. Nicht jeder hält das in dieser Form für sinnvoll.
Wer hat es nicht schon erlebt: Ein freier Tag zu Hause und ständig klingelt's: ein Paket für die Nachbarn, wenig später das nächste, dann noch eins und so weiter. Der Versandhandel boomt, die bunte Einkaufswelt im Internet führt immer mehr Paketwagen durch Innenstädte und Wohngebiete. Auspacken, ausprobieren, zurückschicken - und alles möglichst ohne Zeitverlust. Ökonomisch und ökologisch ist das stark verbesserungswürdig, kritisieren Experten. Handel und Logistik müssten noch kräftig an sich arbeiten.
Der Versandhandel macht nach Branchenangaben inzwischen rund 70 Prozent seines Umsatzes im Internet - nicht mehr nur mit Elektronik und Büchern, immer öfter auch mit Schuhen und Kleidung, sogar Möbeln. Waren für 27,6 Milliarden Euro müssen im Jahr verschickt werden - und oft sollen sie möglichst am nächsten Tag da sein. Das Resultat sieht, wer in einer deutschen Großstadt länger als fünf Minuten auf den Bus wartet: Ein Paketdienst nach dem anderen rauscht durch die Straßen.
„Es sind zwei Effekte, die sich gegenseitig überholen“, sagt Michael ten Hompel. Er leitet das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik in Dortmund. Kunden wollten nach dem Kauf per Klick möglichst schnell ihr Paket auspacken - zugleich packten sie von Büchern über Pullover bis Lebensmittel sehr unterschiedliche Produkte in den Warenkorb. „Es bleibt keine Zeit, diese Warenströme zusammenzuführen.“
Ergebnis der „Sofortness“, wie Fachleute die digitale Ungeduld auch nennen: „Der Laderaum von Lastwagen auf deutschen Straßen ist im zweistelligen Prozentbereich leer“, sagt ten Hompel. „Wir haben mehr kleinteilige Transporte, die letztlich umwelttechnisch kritisch sind.“
Die Autobranche profitiert davon. Für Daimlers Lieferwagensparte Mercedes Benz Vans etwa ist die kleinteilige „City-Logistik“ eine „Riesenchance“. In Europa liege das Marktvolumen bei 700 000 Fahrzeugen. Allein Europas größter Autobauer VW verkaufte im vergangenen Jahr mehr als 200 000 seiner Lieferwagen T5 und Crafter. Die Nutzfahrzeugsparte verbuchte abermals einen Rekord.
Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) sieht die Entwicklung mit Sorge - wegen der Ökobilanz. Denn nur weil mehr per Paket komme, ließen die Kunden ihr Auto nicht in der Garage. „Ich glaube nicht, dass die privaten Fahrten weniger geworden sind“, meint Heidi Tischmann, Güterverkehrsspezialistin des Vereins, der sich den ökologischen Transport auf die Fahne geschrieben hat. „Bevor die Leute im Netz bestellen, fahren sie doch ins Geschäft und probieren aus.“
Logistikprofessor ten Hompel verweist auch auf die Retouren. Die Hälfte der online bestellten Kleidung ließen die Kunden wieder zurückgehen - wofür wieder Motoren anspringen. Hinzu kommt, dass Paketzusteller viele Empfänger erst beim zweiten Versuch antreffen - oder gar nicht, so dass die Kunden ihr Paket von der Post holen.
Das Fraunhofer-Institut empfiehlt Unternehmen, kleinere stadtnahe Verteilzentren einzurichten und dort gemeinsam Pakete zu packen - ein Beispiel: „Sie haben bei Amazon ein Schnitzel und ein Buch bestellt. In dem Verteilzentrum würden das Fleisch vom lokalen Metzger und das Buch aus dem großen überregionalen Verteilzentrum zusammengeführt.“
Onlinekaufhäuser und Versender überlegen nun, wie sie die Abläufe verbessern. Die Otto-Versandtochter Hermes meldet nach einer Spezialistenanalyse stolz: pro Karton 1,5 Liter Luft eingespart. Zalando erhofft sich mehr Effizienz und Bündelungspotenziale von einem laufenden Projekt mit der Technischen Universität Berlin. Amazon hat die Möglichkeit eingeführt, Artikel auch für später zu bestellen - was der VCD begrüßt. Denn ein Ende der „Sofortness“ sei nötig, sagt Tischmann. „Wir brauchen auch ein Umdenken der Kunden.“