Einer für alle? Die wichtigsten Infos zur Musterfeststellungsklage

Berlin (dpa) - Unerlaubte Preiserhöhungen beim Stromanbieter, unzulässige Bankgebühren, fehlerhafte Brustimplantate oder Medikamente mit verhängnisvollen Nebenwirkungen: Regelmäßig kommt es vor, dass viele Verbraucher auf gleiche Weise Schaden erleiden.

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Manchmal auch in übergroßen Dimensionen.

Beispiel VW: Hunderttausende deutsche Autobesitzer sind betroffen vom Skandal um manipulierte Schadstoffwerte bei Diesel-Fahrzeugen. Bislang landen solche Fälle oft aber nicht vor Gericht, weil es für den einzelnen zu aufwendig und riskant ist, in einen juristischen Streit mit großen Konzernen einzusteigen. Das soll sich nun ändern: mit neuen Klagerechten für Verbraucher. Das Bundeskabinett will dazu am Mittwoch die Musterfeststellungsklage auf den Weg bringen.

Verbraucher sollen Anspruch auf Schadenersatz bekommen können, ohne dass sie selbst einen Prozess gegen eine Firma anstrengen müssen. Die Auseinandersetzung vor Gericht sollen Verbraucherschutzverbände übernehmen. Voraussetzung ist, dass eine gewisse Zahl von Menschen betroffen ist. In einem ersten Schritt muss der Verband die Fälle von zehn Betroffenen ausführlich aufarbeiten und auf dieser Basis eine Klage einreichen. Das Gericht prüft dann, ob die Klage zulässig ist und schaut sich dazu die zehn Fälle dazu genauer an.

Ist die Klage zulässig, wird sie öffentlich bekannt gemacht - und es wird ein sogenanntes Klageregister beim Bundesamt für Justiz eröffnet. Dort müssen sich weitere Betroffene melden: innerhalb von zwei Monaten mindestens 50 Menschen - also 40 zusätzlich zu den ersten zehn. Kommen nicht genügend Betroffene zusammen, ist keine Musterfeststellungsklage möglich. Ein Verband dürfte aber wohl kaum Klage einreichen, ohne vorab 50 Betroffene zusammen zu haben. Sonst liefe er Gefahr, dass das Verfahren an dieser Bedingung scheitert.

Die Verbraucher müssen dort bestimmte Angaben machen, unter anderem Name, Anschrift und ein paar Details zum Streitgegenstand - aber bei weitem nicht so viele Angaben wie bei den ersten zehn Fällen, die vom Gericht geprüft werden. Die Meldung muss in Textform eingereicht werden. Das soll perspektivisch möglichst auch komplett online machbar sein. Unterstützung durch einen Anwalt soll dazu nicht nötig sein. Verbraucherschützer fordern, den Eintrag ins Klageregister möglichst unkompliziert zu gestalten. Der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, Klaus Müller, mahnt: „Wenn sich Verbraucher an einer Klage beteiligen möchten, müssen sie sich auch selbstständig - und ohne abgeschlossenes Jurastudium - anmelden können.“

Eine Obergrenze gibt es nicht. Im Fall VW könnten es Zehntausende werden - selbst wenn man berücksichtigt, dass viele Betroffene gar nicht Gebrauch von dieser Möglichkeit machen. Allerdings haben Verbraucher nicht endlos Zeit für die Meldung. Sobald die mündliche Verhandlung beginnt, ist das Klageregister geschlossen. Und nur wer sich dort eingetragen hat, kann später Schadenersatzansprüche geltend machen. Am eigentlichen Prozess sind diese Verbraucher nicht beteiligt. Das übernimmt ausschließlich der klagende Verband. Das heißt, die Verbraucher tragen kein Prozesskostenrisiko und können beispielsweise als Zeugen auftauchen.

Ja, in der Regel nach drei Jahren. Zum Teil gelten auch andere Fristen. Im Fall vieler VW-Kunden tritt die Verjährung Ende 2018 ein. Also drängt die Zeit. Das Gesetz zur Musterfeststellungsklage soll zum 1. November in Kraft treten, damit auch VW-Kunden noch davon profitieren können. Denn: Entscheidend für die Verjährungsfrist ist nicht der Moment, wenn der Prozess beendet ist, sondern wenn die Klage eingereicht ist. Damit ist die Verjährung quasi gestoppt.

Nur bestimmte Verbraucherschutzverbände. Es gibt bereits eine Liste solcher Verbände, die Unterlassungsklagen einreichen dürfen - rund 75. Dazu gehören zum Beispiel die Verbraucherzentralen in Bund und Ländern sowie Mietervereine. Wer seit mindestens vier Jahren auf dieser Liste steht und mindestens 350 Mitglieder hat, soll künftig auch eine Musterfeststellungsklage einreichen dürfen. Hinzu kommt noch eine Reihe europäischer Verbraucherschutzverbände mit Klagebefugnis. In den internen Verhandlungen der Koalitionäre hatte die Union darauf gepocht, den Kreis der möglichen Kläger zu beschränken, um hier nicht ein neues Geschäftsmodell zu schaffen.

Das Verfahren kann mit einem Urteil oder einem Vergleich enden. Kommt das Gericht zu dem Schluss, dass eine Firma ihre Kunden vorsätzlich geschädigt hat und zu Schadenersatz verpflichtet ist, kann das Gericht dies allgemein in einem Urteil festhalten. Darauf könnten sich dann alle berufen, die sich vorher ins Klageregister eingetragen haben. Allerdings müssten sie ihre Schadenersatzansprüche dann noch per anschließender individueller Klage geltend machen. Dies wäre zwar wesentlich leichter, als den gesamten Fall alleine vor Gericht durchzustreiten, aber es bliebe mühsam. Bequemer für Verbraucher wäre ein Vergleich: Denn dann müsste nicht jeder Klageregister-Gemeldete einzeln noch mal prozessieren, sondern könnte direkt und ohne weiteres Gerichtsverfahren Schadenersatz von der Firma verlangen.

Ein wesentlicher Unterschied ist zum Beispiel, dass hier nur Verbraucherschutzverbände klagen dürfen. In den USA dagegen können dies etwa auch Kanzleien tun, die mehrere Betroffene vertreten.