Aids-Hilfe: Bei Frauen viele HIV-Spätdiagnosen
Berlin (dpa) - Viele Frauen in Deutschland denken nach Angaben der Deutschen Aids-Hilfe zu selten an die Möglichkeit einer HIV-Infektion.
Auch viele Ärzte legten Frauen trotz deutlicher Symptome nicht häufig genug einen HIV-Test nahe, teilte die Organisation mit. Dadurch werde die Krankheit oft erst sehr spät erkannt. Manche litten daher bei der Diagnose schon unter dem Vollbild der Krankheit.
Aids ist weltweit die Haupttodesursache für Frauen im gebärfähigen Alter, wie das Aktionsbündnis gegen Aids mitteilte. Frauen und Mädchen hätten in vielen Regionen keine sexuelle Selbstbestimmung - dies behindere auch den Schutz vor dem Erreger. Außerdem hätten etwa zwei Drittel der HIV-infizierten Schwangeren keinen Zugang zu Medikamenten, die das Risiko einer Übertragung von der Mutter auf das Kind fast vollständig verhindern können. Das Aktionsbündnis gegen Aids hat nach eigenen Angaben mehr als 100 Mitgliedsorganisationen.
Bei Frauen in Deutschland sind die oft späten Diagnosen ein Problem. „Ich habe nie daran gedacht, dass es HIV sein könnte“, sagt zum Beispiel eine 51-Jährige aus Hamburg. „Ich führe ein gesundes Leben, esse morgens meine Hirse mit Blaubeeren, gehe dann zum Chor. Ich fühlte mich nicht irre gefährdet.“ Doch dann bekam sie einen hartnäckigen Husten, wachte nachts schweißgebadet auf. Als sie kaum noch Luft bekam, vermutete eine Lungenärztin ein Karzinom und schickte ihre Patientin in eine Klinik. Die Diagnose lautete auf Pneumocystis-Pneumonie. Verursacher dieser Lungenentzündung ist ein Pilz, der besonders häufig bei Menschen mit Immundefekt auftritt - zum Beispiel Aids-Kranken. Erst da machten die Ärzte einen HIV-Test. Das Ergebnis: Es war Aids - und das Immunsystem kurz vor dem Kollaps.
In der Regel werden Frauen nur während einer Schwangerschaft auf HIV getestet. Sonst sei das Thema für sie oft weit weg, berichtet Armin Schafberger, Referent für Medizin und Gesundheitspolitik bei der Aids-Hilfe. Dabei unterschätzten sie zum Beispiel das HIV-Risiko bei Urlaubsflirts und bei heterosexuellen Partnern. Auch Ärzte vermieden oft das Tabuthema Sex. Bei einer Frau falle es wahrscheinlich schwerer, auf einen HIV-Test zu sprechen zu kommen als etwa bei einem schwulen Mann oder einem Drogenkonsumenten, vermutet der Experte. Denn für diese beiden Gruppen ist das höhere HIV-Risiko bekannt.
Das HI-Virus schwächt das Immunsystem. Ohne eine Therapie kann es durchschnittlich sechs bis acht Jahre nach einer Infektion zu schweren Folgeerkrankungen kommen, darunter Gürtelrosen, Tuberkulose und Tumoren. Typisch ist auch eine deutliche Gewichtsabnahme.
„Frauen, die ein HIV-Risiko gehabt haben könnten, sollten sich testen lassen“, sagt Sylvia Urban vom Vorstand der Deutschen Aids-Hilfe. Der Test ermögliche im Fall einer Infektion eine rechtzeitige Therapie und damit ein langes und weitgehend normales Leben. Ihr Rat geht aber auch an Mediziner. „Ärzte sollten sich zu den Symptomen von HIV fortbilden und in Erwägung ziehen, dass ihre Patientinnen infiziert sein könnten“, ergänzte Urban. „Auch wenn die Frauen nicht zu den klassischen Betroffenen-Gruppen gehören.“
Selbst wenn HIV-Folgeerkrankungen wieder ausheile, könne sich das Immunsystem beim Vollbild Aids nicht mehr vollständig erholen, erläutert Medizin-Experte Schafberger. „Aids bedeutet weniger Lebensqualität und auch eine geringere Lebenserwartung.“
2013 wurden 1100 Menschen erst sehr spät positiv auf HIV getestet: Ein schwerer Immundefekt war bei ihnen zu diesem Zeitpunkt schon aufgetreten. Rund ein Viertel davon - 250 Patienten - waren Frauen. Generell wurde in jenem Jahr bei 41 Prozent der infizierten Frauen die Diagnose erst sehr spät gestellt. Der Durchschnittswert lag bei 31 Prozent. Das Berliner Robert-Koch-Institut geht davon aus, dass in Deutschland rund 14 000 Menschen leben, die nicht wissen, dass sie HIV-infiziert sind - weil sie sich bisher nicht testen ließen.