Alkohol oder Computer: Auf die Vorbildfunktion kommt es an
Frankfurt/Main (dpa) - „Gegen alles gibt es eine Pille“ - diese besorgniserregende Haltung breitet sich nach Ansicht von Suchtfachleuten immer weiter aus. Tablettenabhängigkeit betrifft schon ungefähr genauso viele Menschen wie Alkoholsucht.
Alkohol, Drogen, Glücksspiel und Internet - Sucht hat viele Gesichter. Der Geschäftsführer der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen (HLS), Wolfgang Schmidt-Rosengarten, erklärt im Interview, was Eltern, Politik und Mediziner tun können, um Sucht vorzubeugen:
Immer mehr Menschen lässt der Computer nicht mehr los. Wie kann Online-Sucht im Elternhaus vorgebeugt werden?
Schmidt-Rosengarten: Eltern sollten vor allem viel mit ihren Kindern reden und Interesse zeigen, an dem, was sie machen, auch am Computer oder mit dem Smartphone. Erziehung heißt aber auch, Grenzen zu setzen. Sinnvoll ist es, sich auf eine konkrete Wochenstundenzahl für das Surfen und Spielen am Computer und Smartphone zu einigen. Dazu gehört auch, genau festzulegen, was darin alles enthalten ist. Das Ergebnis muss für beide Seiten akzeptabel sein, weil die Einhaltung auf Vertrauen basiert. Wichtig ist auch, dass sich Eltern ihrer Vorbildfunktion bewusst sind: Wer für sich selbst keine Auszeit fürs Smartphone vorsieht, kann von seinen Kindern kaum anderes erwarten.
Kopfschmerztabletten in der Schule und leistungssteigernde Medikamente im Studium - sehen Sie einen Trend zur Medikamentensucht?
Schmidt-Rosengarten: Rund 1,4 Millionen Menschen in Deutschland gelten als medikamentenabhängig, etwa so viele sind alkoholkrank. Diese Menschen - meist Frauen - bekommen die Psychopharmaka, Schmerz- oder Schlafmittel oft von Ärzten, entgegen den medizinischen Verschreibungsstandards. In der Gesellschaft ist eine besorgniserregende Haltung auszumachen, "dass es gegen alles eine Pille gibt". Grund ist ein unheilvolles Zusammenspiel potenter Medikamente, unsachgemäßer Verschreibungspraktiken und vielversprechender Werbebotschaften. Dabei kann unsachgemäßer Medikamentenkonsum neben einer Abhängigkeit andere schwerwiegende körperliche und psychische Folgen haben.
Nimmt die Zahl der Spielsüchtigen weiter zu?
Schmidt-Rosengarten: Jedes Jahr wenden sich mehr von Spielsucht Betroffene und Angehörige an die Beratungsstellen. Je umfangreicher das Angebot an Glücksspielen ist, desto mehr Menschen haben einen problematischen oder gar krankhaften Umgang damit. Das Angebot der unterschiedlichen Glücksspiele müsste also eingedämmt werden und der Staat konsequent gegen illegale Angebote vorgehen. Leider erleben wir das Gegenteil. Im Internet werden zunehmend illegale Glücksspiele angeboten, ohne dass die Betreiber dieser Angebote belangt werden. Spielhallen werden kaum kontrolliert. Sportwettbüros, die ohne Lizenzen nach dem Glücksspielstaatsvertrag arbeiten, boomen.
Droge Nummer Eins ist nach wie vor der Alkohol. Die Zahl älterer Abhängiger steigt. Wie können sie am besten erreicht werden?
Schmidt-Rosengarten: Menschen mit Alkoholproblemen haben wegen der körperlichen Folgeerscheinungen mehrmals jährlich Kontakt zu Ärzten oder Krankenhäusern. Aus Scham und/oder Zeitmangel wird dabei die eigentliche Ursache der Magenprobleme oder des Knochenbruchs aber nicht angesprochen. Somit verliert der Patient viele Jahre, in denen sich die Krankheit weiter verschlimmert, bis Kontakt mit einer Suchthilfeeinrichtung aufgenommen wird. Untersuchungen zeigen, dass minimale, aber sachkundige und gezielte Hinweise von Ärzten Patienten beispielsweise während eines Krankenhausaufenthaltes erfolgreich motivieren können, frühzeitig eine Selbsthilfegruppe oder eine Suchtberatungsstelle aufzusuchen.
Viele junge Menschen saufen bis zum Umfallen. Was können Eltern tun?
Schmidt-Rosengarten: Die Zahl der Krankenhauseinweisungen von Kindern und Jugendlichen mit einer Alkoholvergiftung ist, nach zehn Jahren mit einem stetigen Anstieg, 2013 erfreulicherweise erstmals gesunken. Erwachsene generell und Eltern im Besonderen sollten sich immer bewusst machen, dass sie von Kindern als Vorbilder angesehen werden, auch im Umgang mit Alkohol. Viele Eltern glauben, sie haben in der Pubertät keinen Einfluss mehr auf das Verhalten ihrer Kinder. Dem ist nicht so. Auch wenn es Jugendliche nicht offen zugeben, auch in dieser Phase lernen sie von ihren Eltern, etwa wie diese sich in Konfliktsituationen verhalten.
Was können der Staat und Vereine tun?
Schmidt-Rosengarten: Städte und Gemeinden sowie Politiker und Vereine haben auch eine Vorbildfunktion. Dazu gehört etwa, ob sie die Einhaltung des Jugendschutzgesetzes überprüfen und Verstöße sanktionieren. Aber auch, ob sie Bemühungen von Vereinen honorieren, die das Jugendschutzgesetz strikt befolgen. Letztlich zählt auch das persönliche Vorbildverhalten im Umgang mit Alkohol. Politikern, die sich öffentlichkeitswirksam vor den "Marketingkarren" der Alkoholindustrie spannen lassen, scheint das nicht immer bewusst zu sein.