Alte Strukturen aufbrechen: Die Verhaltenstherapie
Regensburg (dpa/tmn) - Sich seinen Ängsten und angstauslösenden Situationen stellen: Das ist das Ziel einer Verhaltenstherapie. Dabei soll sich sowohl das Verhalten als auch das Denken und Fühlen verändern.
Der Patient lernt, anders mit Problemen umzugehen.
Der kleine Junge hatte Angst vor pelzigen Dingen - darunter Tiere und Männer mit Bärten. Seine Therapeutin hatte eine Idee, wie sie dem Jungen helfen wollte: Jedes Mal, wenn er etwas Pelziges sah, bekam er ein Eis. So lernte er, Pelziges mit etwas Positivem zu verbinden. Was wie eine nette Anekdote klingt, gilt tatsächlich als so etwas wie der Grundstein der Verhaltenstherapie. Denn die Therapeutin Mary Cover Jones aus den USA probierte bei dem dreijährigen Peter etwas sehr Ähnliches aus - bereits Mitte der 1920er Jahre.
„Das waren die ersten Vorläufer für die heutige Verhaltenstherapie“, erklärt Prof. Jürgen Zulley von der Psychiatrischen Klinik der Uni Regensburg. Steffen Fliegel, Ausbilder der Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie in Tübingen, ergänzt: „Forscher haben schon vor langer Zeit gemerkt, dass man bei Kindern und Erwachsenen unter anderem Ängste durch Lernvorgänge erzeugen und auch experimentell wieder verlernen kann.“
Die Entstehungsgeschichte macht auch das Grundprinzip von Verhaltenstherapie deutlich: „Alles, was wir erlernt haben, auch unerwünschte und ungünstige Verhaltensweisen, die zum Beispiel Ängste oder Depressionen begünstigen, können wir wieder verlernen“, erklärt die Diplom-Psychologin Nicola Wendenburg aus Düsseldorf. „Außerdem kann der Mensch jederzeit auch neue Handlungsweisen erlernen.“
Laut Fliegel klärt die Therapie, warum ein bestimmtes Problem heute vorhanden ist und was man dagegen tun kann. „Sie ist orientiert an den Problemen und der Problemlösefähigkeit des Menschen, sie ist sehr zielgerichtet.“ Hat zum Beispiel jemand große Probleme damit, wo und wann auch immer „Nein“ zu sagen, schaut der Therapeut Wendenburg zufolge oft erst, warum das so ist. Möglicherweise habe derjenige als Kind die Erfahrung gemacht, dass ein 'Nein' von den Eltern nicht akzeptiert wurde oder geäußerte Bedürfnisse kritisiert beziehungsweise als unakzeptabel bewertet wurden.
„Aus diesen negativen Lernerfahrungen können gedankliche Muster entstehen, die jedes Mal aktiviert werden, wenn neue Situationen den Bedingungen ähneln, unter denen das negative Schema erworben wurde.“ Um sich zu schützen, werden solche Situationen nach Möglichkeit vermieden. „Das Kind wird vermutlich dann auch als Erwachsener - beispielsweise gegenüber seinem Chef - lieber 'Ja' sagen, um die erwartete Kritik und Ablehnung - proaktiv - zu verhindern“, erläutert Wendenburg.
Im Mittelpunkt der Therapie stehe das Ziel, für dieses Problem Lösungen zu finden. „Wir stellen eine Hierarchie von verschiedenen Situationen auf, die jemand als unangenehm bis angstbesetzt empfindet oder gar vermeidet.“ Mit der Situation, die am wenigsten Unbehagen auslöse, werde angefangen und geübt, an dieser Stelle in geeigneter Weise Grenzen aufzuzeigen. Dann könne man sich nach und nach steigern.
„Der Begriff der Verhaltenstherapie hat sich allerdings weiter entwickelt“, betont Zulley. „So geht es heute nicht mehr nur um Veränderungen des Verhaltens, sondern auch den Denkens und Fühlens.“ Immerhin könne das ebenfalls neu eingeübt werden, so dass einen bestimmte Situationen zum Beispiel nicht mehr traurig machen. „Daher wäre heute eigentlich 'Lerntherapie' der bessere Begriff.“ Verhaltenstherapie eigne sich zum Beispiel für Patienten mit Angststörungen, Depressionen oder Schlafstörungen, erklärt er. Die durch einen Therapeuten geleitete Behandlung sei in vielen Fällen sehr erfolgreich - abhängig vom Problem oft schon nach kurzer Zeit.