Auch Erholungsphasen sind wichtig - Beim Laufen auf den Körper hören

Köln (dpa/tmn) - Laufen gilt als gesundheitsfördernd. Doch manch ein Breitensportler neigt dazu, sich zu überfordern. Die Ursachen liegen häufig in einem überzogenen Leistungsdenken, äußeren Zwängen oder fehlender Körperwahrnehmung.

Das kann gravierende Folgen haben.

Wenn in diesen Tagen die Volkslaufsaison beginnt, werden wieder Tausende ambitionierte Freizeitsportler auf die Strecken gehen. Sie tun es aus Spaß, um abzunehmen, weil es der Arzt rät, oder um einer gesellschaftlichen Norm von Fitness zu entsprechen. Doch besonders Letzteres birgt vor allem bei Anfängern und Wiedereinsteigern die Gefahr, sich zu überfordern.

Zwar gilt Laufen grundsätzlich als gut für die Gesundheit. Aber: „Sport nur aus Schuldbewusstsein zu machen, ist sehr ungünstig. Teilweise werden die Leute sogar krank, weil sie das Gefühl haben, Sport treiben zu müssen“, sagt Prof. Jens Kleinert, Psychologe an der Deutschen Sporthochschule Köln. „Man hat also ein schlechtes Gewissen, wenn man nicht sportlich ist.“

Die Folgen falschen oder zu exzessiven Laufens können mehr oder weniger stark sein: Langfristige Schäden betreffen eher den Bewegungsapparat, führen also etwa zu Rückenproblemen, erklärt Prof. Thomas Wessinghage, Ärztlicher Direktor dreier Rehakliniken in Bad Wiessee und Ex-Weltklasse-Leichtathlet. Akute Überlastungssymptome seien meist internistischer oder neurologischer Natur, sagt der 5000-Meter-Europameister von 1982. Er nennt Orientierungsstörungen, Bewusstseinstrübungen, Kopfschmerzen oder Herz-Kreislauf-Kollaps.

Im Extremfall kann es zum Herzinfarkt oder plötzlichen Herztod kommen, wie es bei verschiedenen Marathonveranstaltungen geschehen ist. Wessinghage empfiehlt daher nicht nur Laufanfängern, stets auf die Signale des Körpers zu hören. Man solle die eigene „somatische Intelligenz“ nutzen. Der Körper sage einem, „wann es zu viel ist und wann es vielleicht ein bisschen mehr sein darf“.

Doch genau da fangen die Probleme an. „Menschen sind es nicht gewohnt, sich physisch zu hinterfragen“, sagt Kleinert. „Wir achten eigentlich nicht besonders auf unseren Körper. Viele Menschen laufen mit der Fokussierung, beispielsweise fünf Kilometer zu schaffen und versuchen nicht, über ihr Körpergefühl nachzudenken.“

Wessinghage rät Freizeitsportlern, anders heranzugehen, als es der moderne Mensch in Zeiten von Budgetplanung und Umsatzzielen oft mache. „Richtig wäre zu sagen: Ich laufe erstmal in einem Wohlfühltempo los und schaue, welche Rückmeldung mein Körper mir gibt.“ Kleinert weist daraufhin, dass man zuerst eine eher geringe und intervallartige Belastung wählen und auf Regeneration achten sollte. Denn Belastung könne nur wirken, wenn auch die Regeneration funktioniere.

Kritisch kann es bei dem werden, was Mediziner Dissimulation nennen: Beschwerden herunterzuspielen und einfach weiterzulaufen. Ignoriere man gar Krankheiten oder Infekte, könne Leib und Leben in Gefahr sein, sagt Wessinghage. „Das ist einfach dumm.“

Die Frage ist auch, was den Läufer motiviert. Liegt der Antrieb in der Handlung selbst und nicht im Ziel, etwas zu erreichen, sei eine Überforderung viel weniger wahrscheinlich, sagt Kleinert. Er spricht in diesem Zusammenhang von intrinsischer Motivation. In diesem Fall sehne sich der Freizeitsportler nach dem Laufen. Bei der „introjizierten“ Motivation gehe es darum, was einem von außen aufgedrängt werde („das macht man jetzt so“). Man höre dann eventuell wieder mit dem Laufen auf oder mache es mit so unangenehmen Gefühlen, dass es nicht mehr gesundheitsfördernd sei.

Überfordern würden sich Menschen gerade in Lebensphasen, in denen sie besonders verletzlich sind, zum Beispiel wenn sie sich umorientieren, sagt Kleinert. Das können Jugendliche sein, aber auch Männer oder Frauen um die 40 oder 50, die neue Ziele suchen. In diesen „empfindsamen“ Phasen komme es eher vor, dass man sich äußeren Zwängen unterordne, weil man selbst nicht stabil ist. Wessinghage sieht auch den Mittvierziger gefährdet, der erstmals merke, dass es biologisch etwas abwärtsgehe und der sich dem entgegenstemme.

Ab einem Alter von 35 Jahren oder nach einer Pause von zwei Jahren und mehr sollte man sich vor dem Einstieg sportmedizinisch untersuchen lassen, rät Christian Venter. Er kommt aus der Sportmedizin der Universität Tübingen und behandelt nun in Reutlingen als niedergelassener Facharzt Breiten- und Leistungssportler. Eine Untersuchung sei auch wichtig, weil die Fitness von Kindern und Erwachsenen im Schnitt deutlich abnehme. Er rät zu einem umfassenden Ansatz inklusive einer ausführlichen Anamnese, also dem Abklopfen früherer Beschwerden oder des Familienhintergrunds. „Das kommt in der heutigen Medizin viel zu kurz“, sagt Venter.

Außerdem wird bei allen großen Straßenläufen auf einen Fragebogen der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP) in Frankfurt und der Deutschen Sporthochschule hingewiesen, mit dem die Teilnehmer ihre gesundheitlichen Voraussetzungen testen können. Nach einigen Todesfällen bei Marathonläufen habe man damit vorsorgen wollen, erläutert DGSP-Ehrenpräsident Prof. Herbert Löllgen.

Prinzipiell aber ist Bewegung Medizin, betont Venter. Doch ob man zehn Kilometer oder einen Marathon läuft: Einsteiger sollten vor der Teilnahme ein bis zwei Jahre trainieren, empfehlen die Experten. Wichtig dabei: nicht zu viel, nicht zu weit, nicht zu schnell.