Bowtech: Entspannen und dran glauben
Dormagen (dpa/tmn) - Sanfte Berührungen, die Blockaden lösen: Das verspricht das ganzheitliche Muskelentspannungsverfahren Bowtech. Zwar gibt es keine eindeutigen Belege für die Wirkweise. Aber wer sich darauf einlässt, kann abschalten und sich gut erholen.
Endlich mal wieder komplett locker lassen: Manch einem reicht dafür eine klassische Massage, ein anderer setzt lieber auf fernöstliche Akupressur. Wieder andere probieren es mit der ursprünglich aus Australien stammenden, ganzheitlichen Muskel- und Bindegewebeanwendung Bowen-Technik, kurz Bowtech. „Bowtech ist eine Technik, die den Körper entspannt und in ein natürliches Gleichgewicht zurückbringt“, sagt der Fitnesstrainer und Trainingstherapeut Heiko Dörr aus Dormagen vom Verein Bowtech Deutschland. Durch sachte Griffe des Behandlers werde der Körper des Klienten wieder „auf Werkseinstellung“ zurückgesetzt.
Die Berührungen seien unvergleichlich sanfter als bei einer Massage - nicht stärker als der „Augendruck“, also entsprechend der Stärke, mit der ein Finger auf einem geschlossenen Augenlid ruht. „Das ist kaum spürbar für den Patienten, hat aber eine unmittelbare Wirkung“, versichert Dörr. So soll mit der Methode, die sich ausdrücklich nicht als Heil-, sondern als reine Entspannungstechnik versteht, ein positiver Energiefluss ausgelöst werden, um Blockaden wie Fehlbelastungen oder Verspannungen abzubauen.
Zwar gibt es laut Dörr keine typischen Berührungspunkte. Aber häufig arbeitet der Behandler auf Muskeln, Sehnen oder Bindegewebe und stimuliert diese durch leichte Kleidung hindurch gezielt mit den Fingern. Zwischen einzelnen Punkten verlässt er den Raum, damit der Körper des Klienten Ruhe findet und entspannen kann. „Viele schlafen auch richtig ein, so sehr schalten sie ab und fahren runter.“
Der Bowtech-Verein listet auf seiner Internet-Seite mehrere Erklärungsansätze: Einer geht davon aus, dass die Technik das Gehirn stimuliert und „den Körper veranlasst, sich über sein Zellgedächtnis zu reorganisieren“, um wieder in einen natürlichen Zustand zurückzukehren. Ein anderer ist das sogenannte Resonanzmodell, wonach die Behandlung harmonische Schwingungen im Körper auslöst, die das autonome Nervensystem ausbalancieren.
„Der wirkliche Hintergrund ist mir noch nicht ganz klar“, sagt der Diplom-Sportwissenschaftler Ronnie Moriabadi von der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement in Saarbrücken. Seiner Einschätzung nach lässt sich eine mögliche Wirkung eher über den Einfluss auf die Faszien, also die dünnen Bindegewebshüllen der Muskeln und Sehnen erklären. „Das psychosomatische System wird wohl stark angeregt.“ So sei immer wieder zu hören, dass bei den behandelten Personen Ängste ab- und eine gute Befindlichkeit zunehmen.
Das Problem: Es gibt, wie auch Dörr einräumt, keine wissenschaftlichen Studien, die eine Wirkung von Bowtech eindeutig belegen - auch der Verein in Deutschland spricht lediglich von „euphorischen Erfahrungsberichten“. Die Deutsche Gesellschaft für Entspannungsverfahren in Lübeck teilt auf Anfrage mit: „Uns sind keine wissenschaftlichen Studien bekannt, die die Anwendung dieser Technik mit dem Ziel Entspannung untersuchen.“
Die wenigen Untersuchungen, die er gesehen habe, seien nicht hundertprozentig nachvollziehbar, sagt Moriabadi. Zum einen seien die Probandengruppen oft sehr klein, zum anderen würden nicht zu 100 Prozent objektive Daten verwendet. So kann man zwar zum Beispiel den Hautwiderstand eines Probanden messen, sein Befinden ist aber stets eine subjektive Größe. „Für jemanden, der klare Wirkungsbezüge wie bei einer Massage braucht, und für technologiegläubige, analytische Typen ist es vielleicht eher nichts“, resümiert Moriabadi. Sensible Menschen, die mit sanften Reizen besser zurechtkommen, spreche es aber womöglich an. Wie in der Medizin lasse sich eben auch bei solchen Verfahren eine Placebo-Wirkung nie ausschließen.
Ähnlich sieht das der Physiotherapeut und Osteopath Thomas Klein aus Augsburg. Die sanfte Technik sei als Entspannungsmethode gut geeignet und könne helfen, einen verspannten Körper wieder aufzurichten. Seiner Ansicht nach handelt es sich bei Bowtech am ehesten um einen Ausschnitt aus der Osteopathie. Dabei geht es unter anderem auch darum, Funktionsstörungen bei Muskeln und Sehnen, sogenannte myofasziale Beschwerden, zu beheben. Im Unterschied dazu ist für die nach ihrem Erfinder, dem Australier Tom Bowen, benannte Technik aber keine besondere therapeutische oder medizinische Vorbildung erforderlich, um sich in dem Bereich zu qualifizieren.
„Ob Physiotherapeut oder Heilpraktiker: Jeder kann es lernen und in seinem Kontext anwenden“, bestätigt Dörr. Krankheitsbilder, bei denen Bowtech nicht angewendet werden darf, gebe es keine. „Der Körper macht die Arbeit, er schädigt sich nicht selbst.“ Im schlimmsten Fall verspürt der Patient also keine Wirkung. Und im besten Fall ist es wohl so, wie Moriabadi es beschreibt: „Je mehr Brimborium ein Therapeut macht, desto mehr glaubt der Patient, dass es wirkt.“
Service:
Eine Bowtech-Anwendung dauert etwa 45 bis 60 Minuten. Festgelegte Preise gibt es nicht, Interessenten müssen aber mit 35 bis 60 Euro rechnen.