NRW rechnet mit Millionen Dosen Wer den Omikron-Booster braucht - und wer nicht

Berlin/Bonn · Nach langem Warten werden in Kürze auch in NRW erste Corona-Impfstoffe verfügbar, die an die Omikron-Variante angepasst wurden. Was man sich davon erwarten kann - und was nicht.

Im Kampf gegen das Coronavirus hat die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA den Weg für zwei an die Omikron-Variante angepasste Impfstoffe freigemacht.

Die NRW-Landesregierung rechnet für die kommenden Wochen mit der Zuteilung von zunächst 2,8 Millionen Dosen der neuen Corona-Impfstoffe für Nordrhein-Westfalen. Die neue Impfkampagne werde derzeit vorbereitet, hänge aber noch von der erwarteten Empfehlung der Ständigen Impfkommission ab, teilte das NRW-Gesundheitsministerium mit.

Das Ministerium geht davon aus, dass etwa zwei Millionen Dosen des Biontech-Impfstoffs und 800 000 Dosen Moderna-Impfstoff in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung stehen werden. Die neuen Impfstoffe sind im Vergleich zu den bisherigen Covid-19-Impfstoffen in ihrer Wirksamkeit gegen die Omikron-Untervariante BA.1 optimiert.

Das Gesundheitsministerium geht davon aus, dass die Impfempfehlung für Menschen in Pflegeheimen und in Wohneinrichtungen für behinderte Menschen gelten wird. Die für das Impfen zuständigen Institutionen sollten zudem Impfangebote für vulnerable Personengruppen und für Menschen mit schlechter hausärztlicher Versorgung vorbereiten.

Kreise und kreisfreie Städte sollten ein Drittel der geplanten maximalen Impfkapazitäten aktivieren, das entspricht etwa 90 000 Impfungen wöchentlich. Insgesamt sind Kreise und Städte aufgefordert, Kapazitäten für eine Viertelmillion Impfungen pro Woche bereitzuhalten.

An Omikron angepasste Corona-Impfstoffe sind Medizinern zufolge für eine große Zahl an Menschen in Deutschland sinnvoll, einen bevölkerungsweiten Einsatz halten sie aber nicht für nötig.

„Die neuen angepassten Impfstoffe kommen für die Gruppen in Frage, denen die Ständige Impfkommission (Stiko) bereits eine zweite Booster-Impfung empfiehlt. Das sind Personen über 60, Gruppen mit Risikofaktoren und Mitarbeiter im Gesundheitswesen, die bislang noch keine vierte Impfung bekommen haben“, sagte Leif Sander, Impfstoff-Experte der Berliner Charité und Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung, der dpa.

Nach Infektion drei Monate abwarten

„Dies jetzt nachzuholen, würde ich empfehlen für eine wahrscheinliche zusätzliche Schutzwirkung.“ Wer im Sommer eine Durchbruchsinfektion hatte, brauche zunächst keinen zusätzlichen Booster und sollte mindestens drei Monate abwarten.

Die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA hatte am Donnerstag (1. September) den Weg für zwei an die Omikron-Variante angepasste Impfstoffe für Menschen ab zwölf Jahren freigemacht: Es geht um Booster, die auch der Sublinie BA.1 Rechnung tragen. Die EU-Kommission hat die Zulassung nun formal bestätigt. Eine Stiko-Empfehlung speziell dazu steht noch aus.

Sander zufolge zeigen viele Untersuchungen: „Der größte Unterschied in Hinblick auf den Schutz vor schwerer Erkrankung und Tod besteht darin, ob man überhaupt einen zweiten Booster erhalten hat oder nicht.“ Er plädierte dafür, den jeweils aktuellsten verfügbaren Impfstoff für den größtmöglichen Zusatznutzen zu nehmen - „also den, der besonders nah an der zirkulierenden Variante dran ist“. Wenn demnächst noch die an die derzeit zirkulierenden Sublinien BA.4/BA.5 angepassten Impfstoffe kämen, präferiere er diese. „Man muss aber auch sagen: Es gibt wahrscheinlich keine riesengroßen Unterschiede zwischen den Impfstoffen.“

Impfentscheidung individuell treffen

Wegen der unzähligen verschiedenen Konstellationen von bisherigen Impfungen und Infektionen wird es aus Sicht des Charité-Forschers immer schwieriger werden, einzelne Impfentscheidungen durch eine generelle Stiko-Empfehlung abzudecken. „Das heißt: Es kann viele individuelle Gründe geben, dass jemand, der nominell nicht unter die Stiko-Empfehlung fällt, sich doch für eine vierte Impfung entscheidet - und das kann man auch machen.“

Der Bonner Virologe Hendrik Streeck, der ebenfalls im Corona-Expertenrat sitzt, warnte vor überhöhten Erwartungen an die neuen Impfstoffe. „Der Booster sorgt noch einmal für etwas gesteigerte Antikörperspiegel im Blut von Geimpften. Wie gut er vor einer Infektion schützt, wurde nicht getestet.“ Man müsse davon ausgehen, dass der Effekt ausfalle wie beim bisherigen Booster, also mit einem Schutz vor Ansteckung für einen ungefähren Zeitraum von drei Monaten.

„Ein Schutz vor Ansteckung für einen längeren Zeitraum ist nicht bewiesen und auch nicht wahrscheinlich“, sagte Streek, der das Institut für Virologie der Universität Bonn leitet. Trotz allem sei auch bei den neuen Impfstoffen ein guter Schutz vor schwerer Erkrankung wie bei den vorherigen Produkten gegeben. Zudem hätten die bisherigen Daten gezeigt, dass das Profil der Nebenwirkungen sehr ähnlich ist wie bei den ursprünglichen Covid-19-Impfstoffen.

Vom angepassten Impfstoff nicht zu viel versprechen

Streeck betonte, er wünsche sich eine klare Kommunikation der Politik, für wen eine vierte Impfung mit dem angepassten Impfstoff überhaupt notwendig ist. Dass es dazu bisher keine Stellungnahme der Stiko gebe finde er vertretbar. „Angesichts der vorliegenden Daten sehe ich keinen ganz akuten Handlungsbedarf. Denn man darf sich von dem angepassten Impfstoff nun nicht zu viel versprechen und denken, dass das jetzt der Gamechanger in der Pandemie wäre.“

Der Amtsärzte-Verbandschef Johannes Nießen riet, wer sich jetzt eine vierte Impfung holen wolle, solle nicht zögern und auf weitere Impfstoffe warten. „Er macht nichts falsch, wenn er den BA.1-Impfstoff nutzt“, sagte der Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienste (BVÖGD) den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Derzeit könne man noch nicht sagen, welcher der beiden Impfstofftypen im Herbst und Winter besser schützen werde, weil dafür noch Daten fehlten. „Wir wissen nicht einmal, welche Variante im Herbst und Winter dominant sein wird.“

(dpa)