Demenz: Beim Tanz kehrt die Lebensfreude zurück
In einer Kölner Tanzschule holt die Musik bei Demenzkranken Erinnerungen hervor.
Köln. Johannes ist 76, leidet unter fortgeschrittener Demenz — und ist immer gut drauf, wenn er wieder in der Tanzschule loslegen kann. Obwohl er sonst fast alles vergessen hat, erinnert er sich an alte Tanzschritte. Bei „Schmidtchen Schleicher“ aus den 70ern erweist er sich als textsicher, auch Paul Kuhns Schlagerhits gehen ihm locker über die Lippen.
Wenn es in der Kölner Tanzschule Stallnig-Nierhaus heißt „Wir tanzen wieder — Tanzen für Menschen mit und ohne Demenz“ ist Johannes immer dabei, mit einer ehrenamtlichen Begleiterin. Bis zu 50 weitere Tänzer zwischen 60 und 97 Jahren schieben sich übers Parkett. Demenzkranke, ihre Angehörigen oder Betreuer aus dem Heim. Die Stimmung ist ausgelassen, alle strahlen und haben Spaß.
Die Initiative ist bundesweit einmalig und lässt inzwischen in anderen Städten und sogar im Ausland einige aufhorchen. Die Idee hatte Stefan Kleinstück vom Demenz-Servicezentrum Köln.
„Viele Demenzkranke haben vor langer Zeit in einer Tanzschule gelernt. Wenn wir jetzt hier die Musik aufdrehen, die ersten Schritte und einladenden Gesten machen, sind sie sofort dabei“, erzählt der Sozialarbeiter, Krankenpfleger und Vize-Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaften NRW. „Manchmal merkt man richtig, wie es Klick macht. Selbst die Partner sind oft ganz entgeistert.“
„Wir legen viele Schlager auf, Evergreens, aber wir tanzen auch schon mal Hiphop“, sagt Hans-Georg Stallnig. „Es ist toll, was die Musik erreichen kann, wenn der Geist weg ist.“ Musik spricht emotional an, kann manchmal verschüttete Erinnerungen hervorholen. Tanzschritte und Bewegungsabläufe aus der Jugendzeit kommen wieder aus dem Langzeitgedächtnis hervor.
„Ich brauche immer jemanden zum Festhalten“, flüstert ihm eine ergraute Tänzerin ins Ohr. „Dafür bin ich doch da“, versichert ihr Kleinstück — und ab geht’s quer durch den Saal. Manche machen nur zaghafte Schrittchen, andere drehen temperamentvoll auf.
Stallnig gibt Bewegungen vor — etwa einen Cha-Cha-Cha-Schritt oder ein einfaches Fuß-Stampfen. Dann wird wieder die Stimmung angeheizt. Zu den Bläck Fööss entwickelt sich eine spontane Polonaise. Zwischendurch ist auch etwas Konzentration gefragt. Die Musikauswahl ist ebenfalls durchdacht. Und so kann Eva (69), obwohl sie viel Sprachvermögen verloren hat, einige Refrains leise mitsingen.
Gereon Fink, Direktor der Neurologischen Klinik an der Uni Köln, hält das Angebot für „sehr sinnvoll“. Es werde körperliche und geistige Aktivität angeregt und zudem ein positiver emotionaler Effekt erzielt. „Die Kombination von Musik und Bewegung kann bei manchen Patienten eine maximale Stimulation auslösen.“
Die Kölner Initiative macht bereits Schule. „Wir berichten auf Kongressen, gehen zu anderen Tanzschulen, führen Schulungen durch und haben auch internationale Anfragen“, sagt Kleinstück. In ersten Städten haben sie Partner gewonnen.