Die Seele kann im Rücken und im Magen wehtun
Salzgitter (dpa) - Die Trennung von Arbeitswelt und Privatleben ist eine Illusion: Arbeitsbelastung, Eheprobleme, Schulden, Kinder, Eltern - auf der Seele brennt alles zugleich. Das erkennen auch Unternehmen zunehmend und bieten ihren Mitarbeitern verstärkt Hilfe an.
Als der Rücken und die Schulter immer heftiger schmerzen, sucht Henning W. die Betriebsärztin auf. Der 43-Jährige ist Elektromeister beim Bahnhersteller Alstom in Salzgitter. Schon bei der simplen Frage nach seinem Wohlbefinden bricht er in Tränen aus: „Er arbeite viele Stunden, könne gar nicht mehr runterkommen. Seine Frau sei unzufrieden, weil er zuviel weg sei“, berichtet die Betriebsärztin Gisela Göpfert am Rande einer Fachtagung in Salzgitter. Ein Fall wie ihn Betriebsärzte immer häufiger erleben. Seelische Erkrankungen sind längst ein gesellschaftliches Problem - Tendenz steigend.
Die Seele, die Psyche macht den Alltag oft nicht mehr mit. „Ein Viertel der Bevölkerung hat einmal im Leben eine depressive Episode“, sagt Wolfgang Panter, Präsident vom Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW). Das sei möglicherweise schon immer so gewesen, wurde aber nicht thematisiert. Genau weiß das niemand. Doch je länger eine depressive Störung unbehandelt bleibt, umso mehr verfestigt sie sich und wird größer. 70 000 Beschäftigte, wegen psychischer oder psychosomatischer Erkrankung frühverrentet - bei dieser Größenordnung ist eine Tabuisierung nicht mehr möglich. Neben dem persönlichen Leiden eines jeden Einzelnen haben sich seelische Erkrankungen zu einem wirtschaftlichen Problem entwickelt.
„Es ist unser ureigenes Interesse, uns um die psychische Gesundheit der Beschäftigten zu kümmern“, betont Alexander Gunkel, Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Wer zuviel auf seiner Seele mit sich herumträgt, sei weniger einsatzfähig, die Leistungsbereitschaft sei geringer, die Produktivität lasse nach, schließlich müsste der guteingearbeitete Mitarbeiter früher in Rente gehen. Vor dem Hintergrund des erwarteten Fachkräftemangels könnten sich die Unternehmen das kaum mehr leisten.
VDBW und BDA sind sich einig, dass sich etwas ändern muss: „Der Betriebsarzt muss eine zentrale Rolle als neutraler Berater und Lotse einnehmen“, sagt Panter. Neben den Standards wie Augenuntersuchungen oder Arbeitssicherheit sollten Betriebsärzte verstärkt auf seelische Probleme achten. Ob Ernährung, Zeitmanagement oder Entspannung - die Palette reiche weit. „Ein großes Thema für Arbeitsmediziner wird zunehmend die wachsende Informationsflut sein“, ist sich Panter sicher. Beim Umgang mit dieser Informationsflut sollten die Betriebsärzte ebenfalls beratend zur Seite stehen.
Die Salzgitter AG mit rund 25 000 Beschäftigten hat bereits reagiert. „Wir hatten schon immer ein Projekt für Muskel- und Skelettprobleme. In den vergangenen Jahren gab es eine wachsende Anzahl von Mitarbeitern, denen wir trotz guter Physiotherapie und Sportangeboten nicht helfen konnten, das hat unser Interesse geweckt“, sagt Betriebsarzt Bernhard Koch. Schnell sei klar geworden, das psychische Probleme dahinter stehen.
Bei Vorsorgeuntersuchungen versuchen Koch und seine sieben Kollegen nun, mit den Beschäftigten ins Gespräch zu kommen. Typische Beschwerden wie Schlafstörungen oder Gereiztheit werden abgefragt und wie es mit dem persönlichen Eindruck der Leistungsfähigkeit stehe.
Um schnell zu helfen, unterhält Salzgitter eine Kooperation mit der TU-Braunschweig. In der dortigen Ambulanz bekommen die Beschäftigten dann schnell eine Therapie. Denn die üblichen Wartezeiten von mehreren Monaten sind kontraproduktiv: „Wer zu lange aus dem Arbeitsprozess ist, der verliert immer mehr an Selbstwertgefühl, die Wiedereingliederung wird dann irgendwann nicht mehr möglich.“ Auch mit der Rentenversicherung und den Krankenkassen ist der Kontakt besonders eng.
Aber auch mit ganz konkreten Hilfen steht Salzgitter ihren Mitarbeitern zur Seite: „Eine Anfrage in der Lohnabteilung hat gezeigt, dass nicht wenigen Mitarbeitern Lohn gepfändet wird“, berichtet Koch. Also hat das Stahlunternehmen eine Schuldnerberaterin fest eingestellt.