Professionelle Hilfe notwendig „Er hat mich verfolgt“: Posttraumatische Belastungsstörung
Hamburg (dpa/tmn) - Gisela Huber (Name geändert) erinnert sich noch genau an den Morgen, als sie ihn fand. Der leblose Körper des Mannes trieb vor ihr im Wasser. In dem See, in dem sie morgens immer schwimmen geht.
Eine halbe Stunde verbringt die gelernte Rettungsschwimmerin allein mit dem Toten im Wasser, während sie auf Hilfe wartet. Letztendlich ist sie es, die den Leichnam mit Hilfe eines Seils ans Ufer zieht. Die Bilder lassen sie nicht mehr los. „Er hat mich geradezu verfolgt“, sagt sie über den Ertrunkenen. Die erste Woche nach dem Fund sei eine Katastrophe gewesen. Es dauert mehr als vier Jahre, bis sie erfährt, dass sie eine Posttraumatische Belastungsstörung hat.
„Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine psychische Reaktion, die nach einem traumatischen Erlebnis auftreten kann“, erklärt Beate Klofat, Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin aus Hamburg. Gerade nach von Menschen verursachten Traumata wie Gewalterfahrungen ist das Risiko für eine PTBS besonders hoch - bis zu 65 Prozent sind nach Kriegserlebnissen betroffen.
„Es scheint, als würde der Glauben an das Gute in diesen Menschen zerstört“, sagt Iris Hauth, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Ein ursächlicher Faktor für eine PTBS sind womöglich die ausgeschütteten Stresshormone während des Erlebnisses. Sie verhindern, dass das Erlebte richtig abgespeichert wird. „Die Erinnerung liegt sozusagen noch als Rohmaterial vor, welches nicht richtig verpackt und etikettiert wurde. Daher kehren Bruchstücke immer wieder als Flashbacks zurück“, erklärt Klofat.
Flashbacks als sich aufdrängende, schmerzliche Erinnerungen und Alpträume sind die Hauptsymptome. Betroffene können nicht zwischen dem Hier und Jetzt und dem Vergangenem unterscheiden. „Sie erleben Flashbacks, als wären sie wieder in der traumatischen Situation“, sagt Klofat. Betroffene sind zudem oft angespannt und können sich nicht konzentrieren. „Häufig kommt es zu sozialem Rückzug und emotionaler Gleichgültigkeit“, sagt Hauth, die ärztliche Direktorin am Alexianer St. Joseph Krankenhaus in Berlin-Weißensee ist.
Gisela Huber spürt, dass sie sich verändert hat. Sie ist nervös, vergesslich und häufig aggressiv. „Ich war mir selbst ein Rätsel.“ Aber ihr Glaube ist ihr dabei eine Stütze. „Ich hatte die innere Gewissheit, dass Gott mir irgendwann den richtigen Ort zeigt, wo ich Hilfe bekomme.“
Religiosität kann tatsächlich als Schutz- oder Stützfaktor bei einer PTBS dienen. Denn: „Menschen mit einem starken sozialen Netz oder jene, die eine besondere Sinnhaftigkeit im Leben sehen, entwickeln weniger leicht eine PTBS“, erklärt Klofat.
Wichtiges Kernstück der Therapie ist die Konfrontation. Denn: Die Erinnerungen zu vermeiden und nicht darüber zu sprechen, fördert das Stadium, in dem die traumatischen Erinnerungen unverarbeitet bleiben. Und Hauth rät: „Als Angehöriger ist es wichtig zuzuhören, den Betroffenen erzählen zu lassen und auf seine Bedürfnisse einzugehen.“
Auch Gisela Huber beginnt schließlich in einem speziellen Traumazentrum eine Therapie. Schon bald merkt sie erste Erfolge, sie kann besser schlafen. Ihr größter Wunsch damals: wieder wie vor dem Trauma leben können. Heute, sechs Jahre nach dem Ende ihrer Therapie, glaubt sie, das geschafft zu haben. Sie arbeitet in der Seelsorge und geht noch immer regelmäßig in dem See schwimmen, wo sie den Leichnam fand. „Ich möchte jeden ermutigen, eine Therapie zu wagen. Niemand sollte sich ein ganzes Leben lang mit dem Trauma plagen.“