Forscherin: „Schmerzliche Erfahrungen machen nicht reifer“
Berlin (dpa) - Warum ist Glück so flüchtig? Und reift ein Mensch nicht gerade an schwierigen Phasen, die er durchlebt? Antworten darauf sucht eine junge Berliner Professorin, die jetzt ausgezeichnet wurde.
Jule Specht ist gerade mal 28 Jahre alt, Bloggerin - und Juniorprofessorin an der FU im Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie. Ihr Thema: Wie entwickelt sich die menschliche Persönlichkeit im Laufe des Lebens? Auch über die Bedeutung der Zufriedenheit hat sie geforscht. Für ihre Arbeit hat sie vor wenigen Tagen den Berliner Wissenschaftspreis in der Nachwuchskategorie erhalten. Einige Fragen zum Glück an Jule Specht:
Was genau ist Glück? Und warum ist es so flüchtig?
Jule Specht: „In der Persönlichkeitspsychologie sprechen wir von Glücklichkeit, wenn eine Person zum einen sagt, dass sie mit ihrem Leben, also mit Beruf, Partner oder Familie, zufrieden ist, und zum anderen auch berichtet, dass sie viele positive Emotionen und wenig negative Emotionen wie Angst, Traurigkeit, Ärger erlebt. Warum das Glücksgefühl aber nur so kurz anhält, wissen wir eigentlich nicht. Wir hoffen ja alle, dass wir möglichst lange von positiven Dingen profitieren können und mittelfristig bleibt Glück auch stabil. Aber wenn man sich Studien ansieht, zum Beispiel zur Situation nach der Familiengründung, dann ist es schon so, dass es danach nur sehr kleine Glückshochs gibt. Dafür gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze: Generell ist es natürlich gut, wenn man glücklich ist, denn man fühlt sich besser. Man lebt auch gesünder und länger und kann mit Rückschlägen besser umgehen. Andererseits wird man durch Unglücklichsein auch auf Dinge aufmerksam gemacht, die nicht optimal laufen - und die man dann verbessern könnte.“
Und wie kann man es schaffen, Glücksgefühle länger wachzuhalten?
Jule Specht: „Positive Ereignisse scheinen deutlich schneller zu verblassen und Negatives uns wesentlich länger zu beeinflussen. Eine Empfehlung ist, sich die Dinge, die gut laufen, wirklich bewusst zu machen statt immer neuen Zielen hinterherzujagen. Aber auch Persönlichkeitseigenschaften beeinflussen das Wohlbefinden sehr stark - jemand, der sehr extrovertiert und wenig emotional labil ist, ist meist auch eher glücklich. Man kann Einfluss nehmen, indem man unter Leute geht, sich Gutes tut und auf das Gute besinnt, aber einfach ist es nicht.“
Sind es nicht gerade die schwierigen, schmerzhaften Erfahrungen, an denen ein Mensch wachsen und reifen kann?
Jule Specht: „Das halte ich für einen Trugschluss. Dazu gibt es aktuell eine Diskussion in der Psychologie. Meiner Meinung nach sprechen aber mehr Studienergebnisse dafür, dass negative Lebensereignisse sich negativ auswirken und positive Entwicklungen eher in einem positiven Kontext geschehen - also einer gefestigten Familie, guten Beziehungen und erfüllendem Beruf. Generell ist es so, dass sich die Menschen eher positiv entwickeln, wenn sie zufrieden mit ihrem Leben sind.“