Hightech und Hoffnung: Wieder hören mit Innenohr-Prothesen
Illertissen (dpa/tmn) - Für Taube und hochgradig Schwerhörige sind Cochlea-Implantate oft die letzte Hoffnung. Dank der Innenohrprothesen können viele von ihnen wieder hören. Die Implantate werden eingesetzt, wenn normale Hörgeräte nicht mehr helfen.
Nach 30 Jahren Taubheit konnte Roland Zeh wieder hören. Mit sieben Jahren war der Mediziner 1967 ertaubt. Damals gab es die Technik des Cochlea-Implantats (CI) noch nicht. 1998 erhielt er seine erste Prothese im Innenohr. „Das war ein Kulturschock, ein sehr eindrucksvolles Erlebnis, fast schon eine Reizüberflutung“, erzählt Zeh. 2002 wurde auch das andere Ohr mit dem Implantat versorgt.
Das Cochlea-Implantat ist eine elektronische Innenohr-Prothese. Sie wird durch einen Sprachprozessor außen am Ohr ergänzt. Er nimmt akustische Signale auf und wandelt sie in elektrische um. Danach werden sie über eine Spule an einen Elektrodenträger weitergeleitet. Dieser Träger ist in der Hörschnecke (lateinisch: Cochlea) im Innenohr platziert. Die Elektroden stimulieren den Hörnerv: So entsteht im Gehirn der Höreindruck.
Richtig hören und Sprache verstehen konnte der Präsident der Deutschen Cochlear Implant Gesellschaft (DCIG) nach der Operation nicht gleich. „Ich musste erst wieder lernen, verschiedene Geräusche zu differenzieren.“ Oft braucht es einen längeren Übungsprozess mit Hörtraining, um Sprache wieder verstehen und telefonieren zu können. „Bei einigen geht das besser, bei anderen schlechter“, erklärt Prof. Claudia Becker. Das hänge auch davon ab, wie gut das Gehirn die neuen Höreindrücke verarbeiten kann, erläutert Becker, die an der Humboldt-Universität Berlin die Abteilung für Gebärdensprach- und Audiopädagogik leitet.
In Deutschland leben rund 30 000 bis 40 000 Menschen mit einem Cochlea-Implantat, schätzt Roland Zeh. Am Helios-Klinikum in Erfurt seien vergangenes Jahr 72 solche Eingriffe vorgenommen, sagt Prof. Dirk Eßer, Chefarzt des Fachbereichs Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde. Die Operation dauert etwa zwei Stunden.
Da viele hochgradig Schwerhörige tiefe Töne noch verstehen, wird oft ein Hörgerät zusammen mit dem Implantat verwendet. „Das CI macht dann die hohen Töne, die für das Sprachverstehen wichtig sind, hörbar“, erläutert Zeh. Das Hörgerät verstärkt die tiefen Töne und sorgt damit für einen besseren Höreindruck.
Kontroverse Diskussionen gab es lange um die Frage, ob taub geborene Kinder ein CI bekommen sollten. „Es ist eine gute Alternative, gibt allerdings keine Sicherheit“, meint Claudia Becker. So würden Studien ergeben, dass etwa die Hälfte der Kinder in einen natürlichen Lautspracherwerb kommt.
Wichtig ist deshalb, so Becker, dem Kind auch Gebärdensprache beizubringen. Diese ist dann die Alternative, wenn das Implantat nicht wie gewünscht funktioniert. Es sollte kein Entweder-oder zwischen CI und Gebärdensprache geben, findet Becker. Roland Zeh teilt diese Meinung. „Kindern sollte die Möglichkeit zum Hören nicht vorenthalten werden.“ Viele von ihnen könnten dank des Implantats eine normale Schule besuchen und hätten später auch bei der Berufswahl mehr Möglichkeiten, so der DCIG-Präsident. Dennoch plädiert auch er dafür, parallel Gebärdensprache zu lernen.
Ein gesundes Ohr kann das Cochlea-Implantat nicht ersetzen. „Davon sind wir noch meilenweit entfernt“, sagt Roland Zeh. Störgeräusche wie Verkehrslärm oder andere Gespräche im selben Raum können CI-Träger das Hören erschweren. „Im Gegensatz zum Ohr kann das CI nur schlecht steuern, welche Geräusche es hören will“, erklärt dazu Claudia Becker. Für Menschen, die taub sind, könne das Implantat aber ein Segen sein.