Langeweile ist ein schwarzes Loch
Viele Menschen können nicht zur Ruhe kommen, sie können nicht über sich nachdenken.
Düsseldorf. Die Götter langweilten sich. Darum schufen sie den Menschen. Adam langweilte sich, weil er allein war, darum wurde Eva erschaffen. Dann langweilten Adam und Eva sich zu zweit. Als die Menge der Menschen auf Erden wuchs, langweilten sie sich en masse. Um sich zu unterhalten, kamen sie auf den Gedanken, einen Turm zu bauen, so hoch, dass er in den Himmel ragte. Der Gedanke schien dem Philosophen Soren Kierkegaard angeblich so langweilig, wie der Turm hoch war.
Langeweile trieb nicht nur die Denker der vergangenen Jahrhunderte um. Bis in die heutige Zeit hinein überkommt uns ein ungutes Gefühl, wenn von der langen Weile die Rede ist. Denn von dort bis zur Langeweile ist es nur ein kleiner Schritt. Bei etwas verweilen oder gut Ding will Weile haben: Diese Redewendungen lassen im sprichwörtlichen Sinne die Zeit stillstehen. Sie erwecken positive Gefühle von Entspannung, Regeneration und seelischem Wohlbefinden.
Doch die Realität sieht oft anders aus: "Wir ertragen das Paradies nicht lange", glaubt die Psychologin Ulrike Zöllner. Ziemlich schnell wird aus der langen Weile die Langeweile, die sich lähmend auf uns legt. Jede noch so banale Anregung erscheint wie ein rettender Anker. Zur Ruhe kommen, alle Reize abschalten, keine Menschen um sich haben - nicht für jeden ist das eine verlockende Vorstellung. Unterhaltsam und abwechslungsreich heißt die Devise: Statt langweiligem Leben das kurzweilige Vergnügen.
Langeweile wird psychologisch definiert als ein Zustand von Reizarmut, der als Mangel erlebt wird und Gefühle von Leere und Unausgefüllt-heit hervorruft. Der Zeitfluss scheint stark verlangsamt und kann ganz zum Stillstand kommen, so dass eine Sekunde wie eine Ewigkeit erscheint.
"Die Langeweile ist ein schwarzes Loch, das eine gefährliche Sogwirkung entfaltet. Wer sich ihr nähert, kommt auf Gedanken, die Zentrales im Leben in Frage stellen. In der Langeweile begegne ich mir und der Leere und Endlichkeit meiner persönlichen Existenz. Sie führt uns in sumpfiges Gelände, wo nichts mehr sicher ist", weiß Ulrike Zöllner. Ständige Aktivität ist unsere Antwort. Wir füllen unsere Zeit mit Arbeit, Vergnügen und Zerstreuung. Die Furcht vor der langen Weile sorgt für Unruhe und löst Fluchtverhalten aus: Nur weg, egal wohin. Allerdings nehmen wir die Langeweile meist mit auf die Reise.
Im Extremfall kann der Versuch, die Zeit totzuschlagen, in einer Sucht oder in einer Depression enden. Die Schweizer Psychologieprofessorin Verena Kast geht sogar noch weiter, und sieht in diesen Zusammenhängen die Ursachen eines Burnouts: "Die Erschöpfungsdepression ist nicht, wie häufig angenommen, eine Form der Überarbeitung. Sondern sie ist ein Zeichen dafür, dass der Mensch zuviel von dem getan hat, was ihn wenig oder gar nicht interessiert. Das kostet extrem viel Energie. Die Depression ist ein Lebensgefühl, bei dem man nicht weiß, was man möchte und tut, was andere von einem wollen - eine chronische, existenzielle Langeweile". Dabei kann gerade die Langeweile den Weg zu mehr Sinnhaftigkeit im Leben weisen. "Bei äußerlicher Passivität kann innerlich viel passieren. Nichts planen, nichts suchen oder wollen, nichts hoffen oder wünschen, nichts fürchten oder vermeiden - dann kristallisieren sich Interessen und Haltungen heraus", plädiert Psychologin Ulrike Zöllner für Geduld. Loslassen und passives Warten, bis sich etwas ergibt, statt ständig auf dem Sprung zu sein und alles zu kontrollieren: Schon Goethe hat in seinem "Faust" beklagt, dass der Mensch durch seine Ungeduld die schönen Augenblicke des Lebens nicht mehr genießen kann.