Nahrungsethnologe erklärt Ekel vor Pferdefleisch mit altem Tabu

Frankfurt/Main (dpa) - Der Pferdefleischskandal ist für viele vor allem eines - ein großer Betrug. Das Echo auf die täglich neuen Enthüllungen rund um Kühlregal und Küche sagt aber auch viel über die Ernährungsgewohnheiten der Deutschen aus.

Eklig findet Marin Trenk Pferdefleisch als Nahrung keineswegs. Für den Ethnologen sind die Römer und Germanen schuld an der distanzierten deutschen Haltung zum Pferd auf der Speisekarte. Der 59-Jährige forscht zum Thema Essen am Institut für Ethnologie der Universität Frankfurt. Derzeit recherchiert er in Thailand für ein neues Buch.

Professor Trenk, Sie sind Ernährungsethnologe. Pferdefleisch dürfte Ihnen da nicht fremd sein, oder?

Marin Trenk: „Nein, ich habe es natürlich auch schon einige Male gegessen. Das erste Mal in Südamerika, danach in Frankreich aus reiner Neugier und zuletzt vor einigen Monaten in einem italienischen Restaurant in Kreuzberg.“

Und hat's geschmeckt oder können Sie das weniger empfehlen?

Trenk: „Nein, das war nicht unangenehm. Es schmeckt ja kaum anders als Rindfleisch. Wenn Sie es genauer anschauen und pur auf der Zunge zergehen lassen, dann merken Sie, dass Pferdefleisch ein bisschen süßlicher ist, es ist auch etwas magerer.“

Aber warum dann dieses Ekelgefühl, das in der Debatte um den Pferdefleischskandal transportiert wird?

Trenk: „Also, mit geschmacklichen Gründen kann das sicher nicht zu tun haben. Aber in Europa hat sich über lange Zeiträume das Tabu ausgebreitet, Pferde zu verspeisen. Es gibt bei uns eine seit mehr als 1500 Jahren gepflegte Meidung gegenüber Pferdefleisch. Nur in Island hat die Kirche als einzige Ausnahme kapituliert. Aber letztlich muss jede Kultur entscheiden, was sie isst und was nicht. Am Geschmack liegt es nicht: Mir ist nichts bekannt, was in diesem Zusammenhang die eine Kultur meiden würde, die andere dagegen nicht.“

Was hat denn vor 1500 Jahren zu dieser Denkweise geführt?

Trenk: „Es sind zwei Kulturen aufeinandergestoßen: die römisch-katholische Kirche und die der Germanen. Die Kirche hat sich bereits in ihren Anfängen vom Judentum abgegrenzt, indem sie die jüdischen Speisetabus nicht übernommen hat. Die Kirche christianisierte und missionierte zudem zunehmend die Germanen - und die wiederum verehrten das Pferd. Es war ein wichtiges Opfertier und somit auch ein sehr geachtetes Schlacht- und Fleischtier. Dadurch, dass das Pferd also im Zentrum des heidnischen Kultes der Germanen stand, war es der römisch-katholischen Kirche natürlich ein ausgesprochener Dorn im Auge.“

Kommt hinzu, dass das Pferd heute von Reitern und Bauern als Partner genutzt wird, Schweine und Rinder dagegen weniger.

Trenk: „Ganz klar. Bei uns ist es sicher so, dass die emotionale Anhänglichkeit an Pferde deutlich größer ist als bei vielen anderen Tieren, viel enger zum Beispiel als an Schaf, Kuh oder Schwein. Es gibt aber andererseits auch ausgesprochene Pferde- und Reiterkulturen wie in Zentralasien, wo man das Pferd trotzdem nicht verschmäht.“

Gibt es denn Völker oder Länder in Europa, wo man das Pferd als normale Speise betrachtet?

Trenk: „Ganz normal auf der Speisekarte steht es meines Wissens nirgendwo, auch nicht in französischen Kochbüchern. Pferdefleischgerichte tauchen da so gut wie nicht auf. Aber sicherlich spielen sie in Frankreich oder Norditalien eine größere Rolle in der Küche als bei uns.“

Bei einem anderen Tier in Lasagne oder Tortelloni wäre die Aufregung also weniger groß gewesen, oder?

Trenk: „Nun, wäre es Hund gewesen, wäre der Aufschrei sicherlich zehnmal so groß gewesen. Pferd wird bei uns zwar als nicht genießbar definiert über einen langen Zeitraum. Und alle Tendenzen, das aufzuweichen, haben bislang nicht wirklich gefruchtet. Aber Pferdefleisch als Nahrung stellt auch für niemanden ein unüberwindbares Hindernis dar, wie man in Notzeiten sehen kann. Dann tut man sich mit Hund und Katze schwer, mit Pferd dagegen weniger.“