Nudossi und Co.: Ostprodukte im Trend
Berlin (dpa) - Knusperflocken und Schlager Süßtafel: Über 20 Jahre nach dem Fall der Mauer sind Produkte aus der Ex-DDR beliebt wie nie. Ein Zeichen für neues Selbstbewusstsein der „Ossis“, sagen Ethnologen.
Im Laden von Bianca Schäler kommt die Erinnerung palettenweise. Gerade werden ein paar Dutzend Kisten „Dresdner Russisch Brot“ geliefert - ein Renner bei den Kunden, sagt die 50-Jährige. Schäler betreibt in Berlin-Mitte das „Ostpaket“ - ein Fachgeschäft für Lebensmittel mit DDR-Erinnerung. Es liegt ziemlich versteckt im recht heruntergekommenen Berlin Carré. Trotzdem ist bei Schäler immer was los, die Kunden besuchen ihren Laden am Alexanderplatz gezielt.
Über 20 Jahre nach dem Fall der Mauer reißt die Nachfrage nach Knusperflocken, Wurzener Extra oder Schierker Feuerstein nicht ab - „im Gegenteil“, betont Schäler: „Das Interesse ist groß, und es wird immer mehr.“ Im März habe sie ein Umsatzplus von 35 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat erzielt, im Januar waren es 50 Prozent. Der Jahresumsatz 2010 lag bei 484 000 Euro.
Wegen des Erfolgs hat Schäler neulich zwei neue Läden aufgemacht: Das „Geschenke-Kombinat“ und den „Ostblock“ mit Produkten aus ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts. Und Schäler ist nur eine von zig Händlern: Zur Berliner Ostprodukte-Messe Ostpro kamen im April rund 130 Aussteller.
Ethnologen sind gar nicht so überrascht über diesen anachronistischen Ost-Hype. Auch wenn die Mauer schon über 20 Jahre weg ist: „Immer noch ist die Mehrheit der im Osten lebenden Menschen in der DDR aufgewachsen. Und die haben zu einzelnen Dingen des Alltags oft eine sehr enge Bindung, in emotionaler wie in ästhetischer Hinsicht“, sagt der Direktor des Instituts für Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität in Berlin, Wolfgang Kaschuba. Wer etwa 30 Jahre lang eine bestimmte Hautcreme verwende, der wolle auch nach einem politischen Systemwechsel nicht einfach davon lassen.
Sabine M. kauft nicht seit Jahrzehnten die gleiche Hautcreme, sondern die gleichen Rollmöpse. Die 54-jährige geht regelmäßig im „Ostpaket“ shoppen. Rollmöpse - da habe sie schon viele West-Sorten ausprobiert, sagt sie. „Aber die aus dem Osten schmecken mir einfach am besten.“ Überhaupt seien es die „kleinen Alltagsdinge“ aus der DDR, an die sie sich gerne erinnere.
Dieses neue Selbstbewusstsein ist bemerkenswert, wie Ethnologe Kaschuba konstatiert. Nach der Deutschen Einheit sei die Entwicklung nämlich zunächst in die andere Richtung gegangen: „Um 1993/1994 setzte sich die westliche Mode stark durch, Ostprodukte galten als provinziell“, sagt Kaschuba. Also keine Cabinet Würzig mehr: „Man wollte die weite Welt und rauchte Peter Stuyvesant.“
Erst allmählich habe die ostdeutsche Bevölkerung wieder zu ihrem Heimatgefühl zurückgefunden, das jetzt mit dem Revival der DDR-Produkte Ausdruck finde. „Man kann da durchaus von einem Stück Emanzipation sprechen“, sagt der Ethnologe. Dabei haben viele Produkte im „Ostpaket“ gar nicht mehr viel mit den alten DDR-Lebensmitteln zu tun.
Die Halloren-Kugeln aus Halle beispielsweise, ein Klassiker im Sortiment, habe heute eine ganz andere Rezeptur als früher, sagt Inhaberin Schäler. Optisch wurden viele Produkte aufgehübscht, sie glänzen jetzt bunt. „Außer die Schlager Süßtafel, da hat sich gar nichts geändert, nicht mal der Preis. Aus 80 Pfennigen wurden 80 Cent“, sagt Schäler.
Aber bei aller Begeisterung: Alle paar Wochen kommen Bürger ins „Ostpaket“ und kritisieren das Geschäft mit der DDR-Nostalgie, wie Schäler berichtet. Ob Ampelmännchen oder T-Shirt mit Erich-Honecker-Motiv - „gerade der spielerische Umgang mit der DDR-Vergangenheit ist für Opfer des SED-Regimes natürlich schwer zu ertragen“, sagt Ethnologe Kaschuba. Bei kollektiver Erinnerung müsse man eben auch die andere Seite im Auge behalten.
„Ostpaket“-Chefin Bianca Schäler will aber bald raus aus dem versteckten Carré, ab „in eine touristisch beliebte Ecke“, sagt sie. Fast hätte sie schon einen Laden in bester Frontlage gehabt. „Aber der Vermieter wollte dann nicht“, sagt Schäler. Er habe eine Verklärung von DDR-Produkten in der Mitte der Hauptstadt befürchtet und als politisch zu heikel empfunden.