Selbst König George stotterte: Therapien helfen
Zürich (dpa) - Der britische Historienfilm „The King's Speech“ über das Stotter-Problem des englischen Königs George VI. räumte bei der Oscar-Verleihung ab. Wie kann Stotterern tatsächlich geholfen werden?
Ein Experte für Redestörungen sah sich den Film an.
Eigentlich müsste der Redner im Londoner Wembley-Stadion nur einen Brief seines Vaters vorlesen. Doch als die Nation auf ihn blickt, bringt der Königssohn in dem mit Oscars prämierten Hollywood-Streifen „The King's Speech“ kein Wort heraus. Kurz darauf findet seine Frau einen Therapeuten für ihren gequälten Mann. „Ich kann ihn heilen“, verspricht der. Für Fachleute ein fataler Satz. Albert, der spätere König George VI., ist Stotterer.
„Kein seriöser Therapeut würde heute sagen, dass Stottern heilbar ist“, sagt Jürgen Kohler, Dozent für Redestörungen an der Hochschule für Heilpädagogik in Zürich. Das könnte falsche Hoffnungen wecken.
Rund 800 000 Menschen in Deutschland, ein Prozent der Bevölkerung, sind nach Angaben der Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe von der Redestörung betroffen. Teufelskreise aus Angst und Vermeidung sowie aus Anstrengung und Frustration könnten das Stottern noch verstärken. Für die Betroffenen und Angehörigen sei dies belastend.
Auch in dem Kostüm-Drama leidet die Gattin (Queen Mum) sichtlich mit, wenn ihr Mann (Schauspieler: Colin Firth) den Mund aufmacht. Schon die Gute-Nacht-Geschichte vor den Töchtern wird zur Qual. „Die ganze Familie steht unter Spannung“, kommentiert Kohler die Szene. „Heute würde man die Kinder einweihen. Das Outing nimmt oft die Angst, entdeckt zu werden“, erläutert der Psychologe und Logopäde.
Die genauen Ursachen des Stotterns sind heute noch ein Rätsel. Sicher ist: Die Redestörung tritt erst mit drei, vier Jahren auf. 75 Prozent der Betroffenen stottern Untersuchungen zufolge vor dem sechsten Lebensjahr. „Die Pubertät ist entscheidend“, weiß Kohler. „Entweder das Stottern verliert sich, oder es wird chronisch.“
Während der Film die kühlen Verhältnisse im englischen Königshaus als Ursache andeutet, gehen die Forscher seit etwa 20 Jahren nicht mehr davon aus, dass Stottern psychologische Gründe hat. „Probleme in der Familie könnten ein Auslöser sein, aber nicht die Ursache“, sagt der Zürcher Wissenschaftler.
Tatsächlich scheinen erbliche Komponenten und neurophysiologische Gründe eine Rolle zu spielen. US-Forscher vom Nationalen Institut für Taubheit und andere Kommunikationsdefekte in Maryland sorgten im vergangenen Jahr für Aufsehen, weil sie bei Betroffenen drei Genmutationen nachweisen konnten. Eine weltweite Untersuchung soll nun klären, welche Folgen diese Mutationen auf das Gehirn haben.
Schon vorher wiesen Versuche darauf hin, dass eine Ursache für die Sprechstörung im Gehirn liegt. Immer wieder stellten Neurologen bei Stotterern eine erhöhte Aktivität der rechten Gehirnhälfte fest. In der Regel können sie auch flüssig singen. Für das Singen sind jedoch andere Teile des Gehirns zuständig als für das Sprechen.
Möglicherweise ist bei Stotterern auch die Sprachkontrolle über das Gehör gestört. Blendet man die Sprachkontrolle durch einen Kopfhörer aus, reden Stotterer normal. Vertäuben nennt man diese Methode, die man auch im Film sieht. Als der angehende König einen Kopfhörer mit Musik trägt, bringt er fehlerfrei einen Hamlet-Monolog zum Besten.
Wer sich das Stottern abgewöhnen will, braucht Geduld. Manche stationären Angebote dauern bis zu drei Monate. Danach müssen Stotterer ihr Leben lang am Ball bleiben. In der Therapie geht es vor allem darum, die Angst vor dem Stottern abzubauen und die Blockaden und Verkrampfungen mit Sprechtechniken zu lösen. Streng genommen gewöhnen sich Betroffene nicht das Stottern ab, sondern eine andere Sprechweise an.
Für Stotterer und Angehörige kann die Sprechstörung schwere Folgen haben. Experten raten daher rasch den Gang zum Sprachtherapeuten, bevor sich Ängste und Vermeidungsstrategien eingespielt haben. Denn das quirlige Kind kann schnell zum stillen Schüler werden. „Stotterer wählen auch häufig Berufe, in denen man still vor sich hinarbeitet. Das heißt nicht, dass sie damit glücklich sind“, sagt Kohler.
Dabei gibt es durchaus prominente Stotterer. Etwa Marilyn Monroe, Julia Roberts, Bruce Willis oder der Drehbuch-Autor des Oscar-Streifens David Seidler, der als Kind gestottert hat. Auch Winston Churchill stotterte. „Ich fürchte diese Apparatur auch“, vertraut der Premierminister im Film seinem König an, als dieser vor das Mikrofon muss, um die Nation auf den Krieg mit den Nazis einzustimmen.
Beruflich hat dem schüchternen Monarchen das Stottern übrigens nicht geschadet. Während des Zweiten Weltkriegs wurde er zum Symbol des nationalen Widerstandes. Seinen Therapeuten hatte er bei wichtigen Auftritten allerdings ein Leben lang an seiner Seite.