Senioren nehmen oft zu viele Medikamente
Bremen (dpa/tmn) - Medikamente helfen - doch nur in der richtigen Dosis. Vor allem ältere Menschen, die mehrere Arzneien nehmen, sollten vorsichtig sein. Es drohen Überdosierungen sowie Neben- und Wechselwirkungen.
Viele Senioren nehmen Arzneien - mehr als die Hälfte aller Rezepte in Deutschland wird für über 60-Jährige ausgestellt. Weniger wäre dabei häufig mehr. Denn die Medikamente können zu stark wirken, sich untereinander nicht vertragen oder längst nicht mehr nötig sein. Zudem: „Manche Senioren leiden dauerhaft unter Nebenwirkungen und merken es gar nicht, weil sie sich daran gewöhnt haben“, sagt der Arzneimittel-Experte Prof. Gerd Glaeske von der Universität Bremen.
Das erste große Problem: Medikamente wirken bei älteren Menschen anders als bei jüngeren, bei den Senioren kann es schnell zu Überdosierungen kommen. Denn die Wirkstoffe werden langsamer als in jungen Jahren aufgenommen und bleiben länger im Körper. „Das ist vor allem bei Schlaf- und Beruhigungsmitteln relevant, ihre dämpfende Wirkung hält länger an“, erklärt Rüdiger Holzbach, Chefarzt der Abteilung Suchtmedizin der LWL-Klinik in Warstein und Lippstadt.
Die Medikamente werden an jüngeren Menschen getestet, nach diesen Erfahrungen richtet sich die empfohlene Dosis. „Auch die Ärzte sind da manchmal etwas im Blindflug“, gibt Glaeske zu. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) empfiehlt, ab dem 65. Lebensjahr die Dosis um 10 Prozent und ab dem 75. Lebensjahr um 20 Prozent zu senken. Für jede weitere Dekade solle um weitere 10 Prozent reduziert werden. Die richtige Dosis hängt aber auch vom Körpergewicht und dem Gesundheitszustand ab.
Etwa jeder zweite Senior im Alter über 65 Jahren leidet mindestens an einer Krankheit. „Es gibt Leitlinien für die Behandlung einer Krankheit. Aber was machen wir mit jemandem, der mehrere Krankheiten hat?“ sagt Prof. Glaeske und fordert Studien über die Kombination von Medikamenten. Zudem gehen die Menschen mit verschiedenen Krankheiten meist zu mehreren Ärzten. Jeder Arzt verschreibt die Arznei, die aus seiner Sicht die vernünftigste ist. Es gibt jedoch keinen Mediziner, der die verschiedenen Behandlungen koordiniert.
Relevant sind nicht nur die rezeptpflichtigen Medikamente, sondern auch Arzneien aus der Apotheke und der Drogerie. „Die muss man sich kritisch ansehen“, erklärt Holzbach. So kann Aspirin etwa zu Magenblutungen führen. Pflanzliche Präparate können mit Medikamenten reagieren. So sorgt etwa Johanniskraut, das gegen depressive Stimmungen helfen soll, in höheren Dosen für einen schnelleren Abbau von Medikamenten.
In einen Teufelskreis können Schlafmittel führen. Sie helfen anfangs, dann gewöhnt sich der Körper daran und der Mensch schläft wieder schlechter. Er erhöht die Dosis, die Nebenwirkungen treten auf: Er wird immer apathischer, unkonzentriert, energielos. Der Betroffene sieht dies als Alterserscheinung oder schiebt es auf den fehlenden Schlaf. Das Medikament nimmt er weiter - und oftmals immer mehr davon.
Auch eine weitere Gefahr wird laut Christa Merfert-Diete von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) unterschätzt: die Abhängigkeit von psychoaktiven Medikamenten. Die meisten Medikamente, die süchtig machen können, enthalten einen Wirkstoff aus der Gruppe der Benzodiazepine. Sie werden zum Beispiel bei Angst, Schlafproblemen und zur Muskelentspannung eingesetzt. „Viele sehen das Suchtpotenzial von Medikamenten gar nicht. Wenn das Beruhigungsmittel nicht mehr wirkt wie am Anfang, nehmen sie einfach mehr davon.“