Spurensuche in der Balkanküche
Belgrad (dpa/tmn) - Die Balkanküche begeisterte die Deutschen seit Mitte der 1960er Jahre mit Riesenportionen Fleisch und Djuvec-Reis. Ein halbes Jahrhundert später verlieren sich die traditionellen Gerichte immer mehr im internationalen Einheitsbrei.
Eine Spurensuche.
Nach den Italienern kamen Mitte der 60er Jahre die Jugoslawen nach Deutschland. Die Gerichte, die sie mitbrachten, begeisterten viele: Auf Holzbrettern wurden Cevapcici genannte Fleischröllchen, Fleischspieße (Raznjici) oder der „lustige Bosniak“ (eine Art Cordon Bleu) serviert. Dazu gab es Djuvec-Reis mit passierten Tomaten, Zwiebeln und Tiefkühlerbsen. Die Portionen waren riesig und verlangten in jedem Fall nach dem meist gratis gereichten Pflaumenschnaps Slivovica, der oft als Slibowitz verballhornt wurde.
Millionen Österreicher und Deutsche lernten als Urlauber Varianten der Balkanküche in Kroatien kennen, wo Fisch aus der Adria den Speiseplan bereicherte. Das war auch in Bulgarien und Rumänien der Fall, wo die Urlauber aus Westeuropa in den 70er Jahren bis ans Schwarze Meer vorstießen. Fische, Krustentiere oder Tintenfische kamen schlicht auf den Grill. Auf den Teller kamen sie regelrecht gebadet in Öl mit reichlich Knoblauch. Als bescheidene Beilagen gab es Blitva (eine Art Mangold) und gekochte Kartoffeln.
Die mit Reis und Hackfleisch gefüllten Tomaten tauchten auf den Speisekarten aller Balkanländer ebenso auf wie Burek, Börek oder Pita (mit Schafskäse, Hack oder Spinat gefüllter Blätterteigkuchen) und die Ajvar genannte Paprika-Auberginenpaste. Dass auf der gesamten Balkanhalbinsel mehr oder weniger dieselben Speisen zubereitet wurden, lag an den Osmanen, die diese Region bis Anfang des 20. Jahrhunderts regierten und entsprechend auch kulinarisch dominierten. Wenn sich auch Griechen und Serben um den Namen „ihres“ starken und süßen Mokkas streiten, ist es doch ein und derselbe „türkische Kaffee“ mit dem Kaffeesatz am Boden des Tässchens.
Im Kern ist die Balkanküche über die Jahrzehnte unverändert geblieben. Eine moderne Regionalküche müsse alte Küchentechniken wiederentdecken und in Vergessenheit geratene Kräuter ausgraben, verlangte der aus Großbritannien stammende Juror Kenneth Fraser bei der Kulinarischen Balkanmeisterschaft im April in Belgrad von den Spitzenköchen aus Südosteuropa. Doch was dort gekocht wurde, entsprach nicht gerade dieser Forderung: Thunfischsteaks, Krabbencocktails, Reis-Polenta-Türmchen oder Schokomus zeugten nicht gerade von Neuerungen in diesem Sinn.
Im Gegenteil: Die althergebrachte Küche wird mit Elementen aus der ganzen Welt so vermischt, dass „der Charakter der eigenen Küche verloren geht“, sagt der in Deutschland ausgebildete serbische Koch Sasa Misic. Der ist heute als TV-Restauranttester unterwegs. „Das führt dann dazu, dass man eine schlechte Kopie von einer sehr schlechten Kopie einer Pizza in einem bulgarischen Restaurant als Delikatesse präsentiert bekommt“. Statt der Weiterentwicklung der Balkanküche wird einer Fusionsküche mit Elementen aus allen Weltgegenden gehuldigt. Heraus kommt ein beliebiger Einheitsbrei. Der in diesem Jahr zum serbischen Meisterkoch gekürte Bojan Stevanovic konzentriert sich nach eignen Angaben auf die chinesische Küche.
In der bosnischen Hauptstadt Sarajevo werden zwei „nationale“ Restaurants vor allem von Ausländern überrannt: „Park princeva“ und „Bellevue“. Beide bieten die traditionelle Speisekarte, wie sie schon immer war, ohne große Überraschungen. Nur der Blick auf die Stadt ist atemberaubend. Das zur Zeit in der kroatischen Hauptstadt Zagreb angesagte „Baltazar“ ist stolz auf seinen Tafelspitz und seine Pasta Carbonara, die angeblich jeden Gast aus Wien und Rom begeistert.
Doch es gibt auch Lichtblicke. Die Küchenchefin des „Valsabbion“ in Pula auf Istrien, Sonja Peric, hat beim Spanier Ferran Adrià gearbeitet und ist wiederholt zur „besten Köchin Kroatiens“ gekürt worden. Wem diese experimentelle Küche nicht mundet, weicht aus zum ebenfalls auf der Halbinsel Istrien gelegenen „Monte“ in der Altstadt von Rovinj, wo sich die Niederländerin Tjitske und ihr kroatischer Mann Danijel Djekic in Service und Küche prächtig ergänzen. Hier wird verfeinerte Regionalküche aufgetischt, die so sehr mundet, dass nur schwer ein Platz zu ergattern ist.
Ein gastronomisches Experiment wurden in diesem Juli auf der kroatischen Halbinsel Punta Skala bei Zadar gestartet. Dort konzentriert sich das Fünf-Sterne-Hotel „Iadera“ unter anderem auf die regionale Küche. Verantwortlich dafür ist der Südtiroler Franz Castlunger. Seine Philosophie: „Die heimischen Produkte so wenig wie möglich verändern“. Der Küchenpurist schwört auf die mit Wildkräutern groß gezogenen Lämmer der vorgelagerten Inseln, auf den berühmten örtlichen Schinken (prsut) und Käse von der Insel Pag. „Und Kräuter, Kräuter, Kräuter“. Da üblicherweise in der kroatischen Küche fast nur mit Rosmarin gewürzt wird, hat der 35-Jährige erst einmal einen Kräutergarten angelegt. Und weil die Adria leergefischt ist, experimentiert der Koch der Luxusherberge mit Meeresforellen, die aus einer örtlichen Zucht kommen. Ein Versuch zur neuen Regionalküche.