Übergewichtige Kinder: Weniger Glotze, mehr Bewegung

Bonn (dpa/tmn) - Übergewichtigen Kindern empfehlen Experten weniger Medienkonsum, ausgewogene Ernährung und mehr Bewegung - im Zeitalter von Fast Food, Smartphone und Spielekonsole kein leichtes Unterfangen.

Ohne die ernsthafte Beteiligung der Eltern geht nichts.

Ist das Kind moppelig, und die Fettpölsterchen wachsen sich aus? Oder trägt es wirklich zu viele Kilos mit sich herum? Das sei mit bloßem Auge nicht immer einzuschätzen, sagt Silke Restemeyer, Ernährungswissenschaftlerin bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) in Bonn. „Ein kleiner Wonneproppen kann sich in der nächsten Wachstumsphase zum Spargeltarzan auswachsen.“

Wer unsicher ist, solle den Kinderarzt ansprechen. Die Mediziner können anhand von Referenzkurven feststellen, wie es um das Gewicht bestellt ist, und überprüfen, ob eine Stoffwechsel- oder Hormonerkrankung als Ursache für die vielen Pfunde infrage kommt. Außerdem können sie nach Risikofaktoren für Folgeerkrankungen wie Diabetes fahnden, sollte es sich um extremes Übergewicht oder Fettleibigkeit handeln.

Laut der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) aus dem Jahr 2006 lebten in Deutschland etwa 1,9 Millionen übergewichtige Kinder und Jugendliche, davon waren 800 000 fettleibig. Auf der Basis von Daten von 1985 bis 1999 hatte sich die Zahl der Fettleibigen verdoppelt. Die Studie wird derzeit aktualisiert.

Eltern neigten dazu, das Gewicht ihrer Kinder falsch einzuschätzen. „Daher sollte man sich die Zahlen anschauen“, sagt Reinhard Mann, Leiter des Ernährungsreferates der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Gemeint ist der Body-Mass-Index (BMI): aktuelles Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch das Quadrat der Körpergröße in Metern. Im Gegensatz zu Erwachsenen müssen bei Kindern auch Alter und Geschlecht berücksichtigt werden - denn sie wachsen ja noch.

Ist ein Kind übergewichtig, könne man es erst einmal beobachten, sagt Mann: „Was und wie isst mein Kind? Gibt es geregelte, gemeinsame Mahlzeiten? Wie ist das Bewegungsverhalten?“ Zuwendung und gemeinsame Aktivitäten könnten in dieser Phase sehr viel bewirken. Als Ursache für eine Zunahme an dicken Kindern sieht der Psychologe das Mehr an Zeit, dass die Kinder mit Medien verbringen. „Man erwartet ja, dass Übergewicht mit dem Essen zu tun hat. Entscheidender ist aber der Medienkonsum, da gibt es eine starke Verbindung zwischen der Zeit am PC, an der Spielekonsole und vor dem Fernseher und dem Gewicht.“ Vorschulkinder sollten sich damit nicht länger als eine halbe Stunde am Tag beschäftigen, Grundschulkinder nicht mehr als eine Stunde.

Ein weiterer Grund ist laut der Medizinerin Andrea Bielstein: Die Wahrnehmung in der Gesellschaft habe sich verändert, was eine angemessene Portion sei. „Das gilt für die Mahlzeiten der Erwachsenen genauso wie für die der Kinder - viele von ihnen bekommen genauso viel auf den Teller wie ihre Eltern“, sagt die Ärztin von der Adipositas-Sprechstunde des Katholischen Kinderkrankenhauses Wilhelmstift in Hamburg.

Grundsätzlich warnen die Fachleute, Kinder eigenmächtig auf Diät zu setzen. „Ein übergewichtiges Kind darf grundsätzlich keine Reduktionsdiät erhalten“, sagt Reinhard Mann. „Wenn Kinder in der Wachstumsphase mangelernährt werden, dann essen sie später, was sie bekommen können, und haben keine Bremse mehr beim Essen.“ Restemeyer mahnt: „Auch ein übergewichtiges Kind benötigt das, was ein Kind generell benötigt: Eine bestimmte Menge an Nährstoffen und Energie sind notwendig für die Entwicklung.“ Eltern könnten aber den Ernährungsplan beeinflussen: beispielsweise statt Vollmilch fettarme Milch, statt Fleischwurst mageren Schinken. Auch die Ernährungspyramide ist eine wertvolle Orientierungshilfe.

Laut der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter sollten Abspeckprogramme eine Kombination von Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie enthalten - isolierte Maßnahmen führten nicht zum Erfolg. Auch pädagogisch ist es eine Herausforderung, mit übergewichtigen Kindern umzugehen. „Mit Verboten, restriktivem Essen und einem 'Du bist zu dick' erreichen Sie oft das Gegenteil“, sagt Mann. „Sie müssen lernen, sich selbst zu kontrollieren, und brauchen ihre Eltern als Vorbilder.“