Von Ostern bis Weihnachten - Matjes hat lange Saison
Emden (dpa) - Heringe galten lange als „Silber des Meeres“. Heute sind es kleinere Anbieter, die den zum Matjes veredelten Fisch nach fast jedem Geschmack liefern. Verschiedene Rezepturen sollen für Abwechslung und Kundennachfrage sorgen - nicht nur an der Küste.
Draußen herrscht Affenhitze, drinnen dampft eiskalter Fisch: Bei Fokken und Müller im ostfriesischen Emden schirmt eine dick isolierte Tür den Produktionsbereich von der sommerlich-heißen Außenwelt ab. Besucher, die nur mit weißer Hygienekleidung und Schutzhäubchen auf dem Kopf eintreten dürfen, zucken erstmal vor Kälte zusammen. Firmenchef Edzard Müller lassen die Temperaturen ungerührt, und auch der strenge Fischgeruch in der Matjes- und Feinkostmanufaktur stört ihn nicht: „Ich bin mit dem Matjes aufgewachsen.“
1895 hat sein Urgroßvater das Unternehmen mitgegründet, und der Urenkel blickt mit etwas Wehmut auf alte Fotos aus dieser Zeit zurück. Fast haushoch stapelten sich damals die Heringsfässer auf dem Firmengelände, dicht gedrängt lagen Fischkutter im Hafenbecken. Emden und andere Hafenstädte an Nord- und Ostsee profitierten lange vom „Silber des Meeres“, wie der wertvolle Speisefisch damals genannt wurde.
Mit der Überfischung der Nordsee in den 70er Jahren ging das Geschäft bergab, viele Hering verarbeitende Betriebe mussten schließen. Von drei Emder Unternehmen blieb nur Fokken und Müller übrig und suchte sich eine Nische. „Unser Geschäft ist Qualität, wir liefern keine Massenware“, sagt Müller, der mit seinem Bruder die Geschäfte leitet. Seine Matjesspezialitäten kommen in bunten Geschmacksrichtungen auf den Markt: mal mit Bärlauch, in Gurke-Dill-Aufguss, als Pfeffer-, Sherry-, Winter- und Zwiebelmatjes oder ganz traditionell geräuchert und in Öl.
Der vor Norwegen gefangene junge Hering erreicht nach einer ersten Verarbeitung in Norwegen die ostfriesische Hafenstadt. Dort werden die schon ausgenommenen Tiere weiterverarbeitet und veredelt. Erst wird die Ware schonend aufgetaut, per Hand enthäutet, gereift, gesalzen und verpackt.
Auf der Kundenliste stehen Groß- und Einzelhändler sowie Feinkostgeschäfte in ganz Deutschland. Und zum täglichen Fabrikverkauf reisen Fisch-Fans aus bis zu 300 Kilometern Entfernung an. Über Umsatzzahlen spricht Müller nur ungern, aber die 70 Angestellten des Familienbetriebs sollen jährlich bis zu 3500 Tonnen Heringslappen verarbeiten.
„Regionale Anbieter wie in Emden, Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern treffen am besten den Mund der Verbraucher“, sagt Matthias Keller vom Hamburger Fisch-Informationszentrum. Dabei fänden Produkte aus Glückstadt, Stralsund oder Ostfriesland mit ihren landestypischen Geschmacksnuancen nicht nur Abnehmer an der Küste.
Denn auch bundesweit kommt Matjes an: Jährlich verzehren die Verbraucher rund eine Million Doppelfilets. Die rangieren in der Statistik zwar nur als „sonstige Fischerzeugnisse“ mit ganzen sieben Prozent beim Gesamtverbrauch, wobei Ostern und Weihnachten als Spitzenzeiten gelten, wie Keller sagt. Aber auch jetzt im Sommer sieht der Branchenkenner Hochkonjunktur für den Matjes: „Das ist ein schönes, leichtes Essen. Und im Unterschied zu früher haben wir heute eine geschlossene Kühlkette - der Fisch bleibt immer frisch.“