Wächter des Immunsystems: Wann die Mandeln raus sollten
Greifswald (dpa/tmn) - Mandeln drin lassen oder herausnehmen? Vor dieser Entscheidung steht, wer wiederholt an eitrigen Mandelentzündungen leidet. Bei Kindern unter vier Jahren versuchen Mediziner, die Mandeln wegen ihrer Rolle beim Aufbau der Immunabwehr zu erhalten.
Die Gaumenmandeln spielen eine wichtige Rolle bei der Immunabwehr. Doch wer häufig oder gar chronisch an einer Mandelentzündung leidet, dem fallen sie bald zur Last. Dann werden sie in der Regel entfernt. Grundsätzlich sind Mediziner dabei aber heute zurückhaltender als früher, insbesondere bei Kindern, deren Immunsystem noch nicht voll ausgereift ist.
Die Mandeln, fachsprachlich Tonsillen genannt, sind das Herzstück des sogenannten lymphatischen Rachenrings. „Man könnte von einem Filter sprechen. Alles, was geschluckt oder durch den Mund eingeatmet wird, kommt an den Tonsillen vorbei, und die schädlichen Stoffe werden erkannt“, erklärt Prof. Werner Hosemann von der HNO-Klinik der Universität Greifswald.
Tiefe Spalten durchziehen die Mandeln. Dadurch ist ihre Oberfläche vergrößert, es kommt zu intensivem Kontakt zwischen Viren, Bakterien oder Pilzen und den Immunzellen in den Mandeln. Letztere werden umgehend aktiv: Sie bekämpfen die Krankheitskeime und melden sie wie eine Art Frühwarnsystem an die anderen Immunorgane. „Darüber hinaus merken sie sie sich und tragen so zur Entwicklung des immunologischen Gedächtnisses bei - und damit auch zum Aufbau der körpereigenen Abwehrkräfte“, erklärt der Immunologe Werner Solbach vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck.
Doch manchmal machen die Mandeln auch Ärger: Häufige oder gar chronische Mandelentzündungen sind das spürbare Zeichen. Dann stellt sich die Frage, ob die Mandeln nicht besser herausgenommen werden sollten. „Früher wurden die Tonsillen tendenziell zu oft entfernt, heute ist das Gegenteil der Fall“, erklärt Winfried Goertzen vom Landesverband Bayern des Berufsverbands der Hals-Nasen-Ohrenärzte. Ausschlaggebend dafür ist nicht zuletzt die Befürchtung, der Mandelverlust könne das Immunsystem schwächen. „Tatsächlich trifft das nur zu, wenn operiert wird, bevor das immunologische Gedächtnis eines Menschen sich ausgebildet hat“, erklärt Solbach.
Stehe es einmal - was im Alter von etwa sechs Jahren der Fall ist -, wirke sich eine Mandelentfernung nicht mehr auf die Abwehrfähigkeit aus. Dementsprechend ist es auch eine Altersfrage, ob operiert wird oder nicht: „Bei Kindern wird zurückhaltender operiert. Besonders, wenn sie unter vier Jahren sind, versucht man die Mandeln wegen ihrer Rolle beim Aufbau der Immunabwehr zu erhalten“, sagt Goertzen.
„Wenn jemand ständig eitrige Infekte hat, die mit Fieber und Schmerzen einhergehen, ist eine Tonsillektomie dringend anzuraten“, betont Hosemann. Nicht nur, weil die Dauerentzündung Körper und Immunsystem stark belaste, sondern auch wegen der Folgen, die sie nach sich ziehen kann. „Die Infektion kann sich im Halsgewebe ausbreiten, und es kann sich ein Peritonsillar-Abszess bilden, also eine Eiteransammlung im Gewebe“, gibt er ein Beispiel. Die könne im schlimmsten Fall zu einer Blutvergiftung führen.
Ansonsten zählt die Entzündungsfrequenz: Obergrenze bei Kindern sind vier bis sechs, bei Erwachsenen drei schwere Infektionen pro Jahr. Sind es mehr oder halten sie über Monate an, raten die Fachleute zur Entfernung. Die Tonsillektomie ist ein risikoarmer Routineeingriff. In Einzelfällen kann es aber zu Nachblutungen kommen. Deshalb ist von einer ambulanten OP abzuraten. Außerdem gilt es, nach der OP einige Regeln zu beachten - etwa Anstrengung vermeiden und nicht zu scharf oder heiß essen. Bei Blutungen, die mehrere Minuten andauern, sollten Patienten ihren Arzt aufzusuchen.