Wer hat's erfunden? Die Spur des Glühweins führt nach Sachsen
Dresden (dpa) - Zur kalten Jahreszeit ein Genuss und für Weihnachtsmuffel eine Stimmungskanone: Glühwein ist nicht erst seit den After-Work-Partys auf den städtischen Weihnachtmärkten ein Renner. Seine Tradition liegt weitgehend im Dunkeln.
Weihnachtsmusik, gebrannte Mandeln, Bratwurst und: Glühwein. Er gehört zum Weihnachtsmarkt wie die Rute zu Knecht Ruprecht. Wohl kaum ein anderes Getränk lässt die weihnachtliche Vorfreude so wohlig in den Menschen aufsteigen. Das mag natürlich am Alkohol liegen; für einen richtigen Glühwein braucht es aber mehr: Gewürze, die Süße und die Weihnachtszeit natürlich. Doch woher kommt er, und wer hat ihn erfunden? Die Schweizer waren es nicht, so viel scheint festzustehen.
Mindestens eine Spur führt nach Sachsen, zum Raugrafen Wackerbarth. Und der ist sagenumwoben, wie der Referatsleiter im Sächsischen Staatsarchiv, Nils Brübach, zu berichten weiß. „Es hat immer geheißen, er habe versucht, Gold zu machen, sei ein Alchemist gewesen. Das ist aber falsch. Die einzige Rezeptsammlung, die sich im Nachlass findet, ist eben diese Sammlung von Rezepten zur Verbesserung von Weinen und für Mixgetränke auf Weinbasis.“
Der Dresdner Archivar ist fasziniert von August Josef Ludwig von Wackerbarth (1770-1850), der, hochgebildet, sein Wissen der Welt hinterlassen wollte und für Brübach mit seiner aufklärerischen Art in der Mitte des 19. Jahrhunderts wie „aus der Zeit gefallen“ scheint. Und Brübach war es auch, der im Nachlass des Grafen auf das Rezept zur Herstellung gewürzten Weines stieß.
Für eine Kanne - heute ein knapper Liter - sieht es vier Loth (ein Loth in Sachsen der damaligen Zeit entspricht knapp 15 Gramm) Zimt, zwei Loth Ingwer, ein Loth Anis, ein Loth Granatapfel, ein Loth Muskatnüsse, ein Loth Kardamom sowie ein Gran (heute rund 60 Milligramm) Safran vor. Das Ganze muss dann nach der Wackerbarthschen Rezeptur noch mit Zucker oder Honig gesüßt und abgeschmeckt werden. Diese Rezeptangaben sind nach heutiger Auffassung gesundheitsgefährdend, weil die Mengenangaben der Gewürze sehr hoch sind. Allein Muskatnuss kann in hohen Dosen etwa ab fünf Gramm unter anderem zu Bewusstseinsstörungen, Herzrasen und Halluzinationen führen.
Schloss Wackerbarth ist heute noch immer ein Weingut. Dort ist man froh über das wiedergefundene Rezept vom 11. Dezember 1843. Zwar würden Art und Menge der darin beschriebenen Gewürze kaum mehr den Geschmack der heutigen Zeit treffen, sagt Staatsgut-Sprecherin Ulrike Schröter, „aber es ist das wohl älteste überlieferte Glühweinrezept Mitteldeutschlands.“
Doch schon mindestens hundert Jahre zuvor war das Würzen und Süßen von „guten Weinen in kalten Landen“ in Sachsen ein Thema. 1747 beschrieb Johann Heinrich Zedler in seinem in Leipzig verlegten Universal-Lexikon - einer Art Wikipedia des 18. Jahrhunderts - wie es geht. „Diese Verbindung von Wein und Gewürzen war etwas Besonderes, etwas sehr Kostbares“, erklärt Brübach. Von dem Begriff Glühwein ist in den alten Schriften aber nirgends die Rede, auch wenn die Vermutung naheliegt, dass der Würzwein schon damals erhitzt wurde.
Gewürzten Wein trank man im Übrigen auch schon zu Zeiten König Gustav Wasas im 16. Jahrhundert am schwedischen Hof. Glögg heißt er heute und wird auch heiß serviert. Ob das schon damals der Fall war, ist nicht eindeutig geklärt. Unstrittig dagegen Wasas Verbindung nach Sachsen: „Am 24. September 1531 heiratete er nämlich Katharina von Sachsen-Lauenburg, und ich vermute, dass er darüber auch den Würzwein kennenlernte“, sagt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut in Mainz. „Gewürzweine wurden vornehmlich von den Adligen und in Königshäusern getrunken.“
Das Weinland Sachsen hatte von alters her mit seinen Weinspezialitäten einen besonderen Stand, insbesondere beim Claret. „Der Claret ist ein weißer Gewürzwein, dem man im Mittelalter medizinische Eigenschaften zuschrieb. In den sächsischen Wein- und Winzerbüchern ist er die weiße Variante des roten Gewürzweins namens "Hypocras"“, erklärt Büscher.
Und auch der Raugraf hält in seinen Aufzeichnungen ein Rezept für einen weißen Glühwein parat - auch wenn er ihn nicht Glühwein nannte. Insgesamt 65 Rezepte für weinhaltige Mixgetränke sind laut Brübach in den Schriften zu finden - darunter auch Erfrischendes für den Sommer. Doch während der Graf wohl auch die Vermarktung des Rebensaftes im Sinn hatte, ging es bei den Würzweinen aus grauer Vorzeit wohl eher um die Haltbarkeit oder schlicht darum, ansonsten Ungenießbares trinkbar zu machen.
Der Glühwein-Trend geht heutzutage weg von der Variante, bei der Billigwein mittels Zucker und Gewürzen aufgepeppt und in Pappkartons abgefüllt zu Beträgen unter zwei Euro verkauft wird. Winzerglühweine aus edleren Reben wie Dornfelder, Regent oder Spätburgunder sind angesagt und erobern Marktanteile, vor allem, wenn sie noch aus der Region stammen, wie Büscher vom Weininstitut sagt.
Übrigens wussten schon die alten Römer den Würzwein zu schätzen. Ein noch heute bekanntes Rezept, das dem des Glühweins nicht allzu fern ist, stammt vom Feinschmecker Apicius aus dem 1. Jahrhundert vor Christus - einer Zeit also, als naturgegeben mit Weihnachtsmärkten und After-Work-Partys nun wirklich noch niemand etwas am Hut hatte.