Zu wenig geimpfte Kinder: Masern-Ausbrüche möglich
Berlin (dpa) - Nur etwa jedes dritte Kleinkind in Deutschland wird einer Studie zufolge zur rechten Zeit und ausreichend gegen Masern geimpft. Das haben Wissenschaftler vom Versorgungsatlas der Kassenärztlichen Vereinigungen für eine am Mittwoch vorgestellte Studie berechnet.
37 Prozent der Kinder erhalten demnach vor ihrem zweiten Geburtstag die zwei Impfungen in den Monaten, die von der Ständigen Impfkommission empfohlen werden. Am schlechtesten seien die Impfquoten in Bayern, Baden-Württemberg, Berlin und Bremen.
Die Ständige Impfkommission empfiehlt den Forschern zufolge, dass die erste Impfung vom 9. bis 14. Lebensmonat erfolgt, die zweite vom 15. bis 23. Monat. Viele Kinder werden jedoch nicht in diesen genauen Zeitfenstern geimpft. Rechne man die Kinder hinzu, die die Spritzen zwar bis zum zweiten Geburtstag, aber außerhalb der genannten Monate erhielten, dann seien im Bundesdurchschnitt insgesamt rund 60 Prozent der Zweijährigen zweimal geimpft.
Die Begründungen von Eltern, warum sie ihre Kinder nicht doppelt gegen Masern impfen lassen, sind laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov unterschiedlich: „Gilt für mich als Kinderkrankheit, die man durchmachen kann und muss“, lautete eine Erklärung.
Forscher warnen jedoch davor, die Impfungen auszulassen. Masern gelten als eine der ansteckendsten Krankheiten überhaupt. Schwere Komplikationen sind selten, aber es gibt sie. Im Juni starb ein 14-Jähriger an den Spätfolgen einer Infektion. Er hatte sich als Säugling in einem Wartezimmer mit Masern angesteckt, weil ein nicht-geimpftes Kleinkind die Krankheit weitertrug. Auch ein als Säugling angestecktes Mädchen starb Jahre später durch diese Wartezimmer-Infektion.
Die Forscher vom Versorgungsatlas haben in ihrer Erhebung die Daten von mehr als 550 000 Kindern ausgewertet, die im Jahr 2008 geboren wurden. Das sind 81 Prozent des gesamten Jahrgangs.
„Impflücken bei Kleinkindern können beispielsweise in Kindertagesstätten fatale Folgen haben, wenn die Infektion bei einem lokalen Masern-Ausbruch eingeschleppt wird“, warnte die Leiterin der Forschergruppe des Versorgungsatlas, Sandra Mangiapane, in einer Mitteilung. Bei drei bis fünf Prozent der Kinder schlage die erste Impfung nicht an.
„Bezogen auf die Studienpopulation bedeutet dies, dass zwischen 14 000 und 23 000 Kinder, die eine Erstimpfung bekommen haben, bis zur Zweitimpfung nicht geschützt sind, obwohl die Eltern das denken“, sagte die Studienautorin Maike Schulz. Die Ständige Impfkommission empfiehlt aus diesen Gründen eine zweifache Impfung.
Die jüngsten Masern-Ausbrüche zeigen nach Angaben der Forschergruppe, dass die Impfquoten in Deutschland zu niedrig liegen und der Impfschutz in vielen Regionen sehr löchrig ist. In Erftstadt bei Köln musste vor kurzem eine Waldorfschule geschlossen bleiben, nachdem dort mehr als zehn Schüler an Masern erkrankt waren. Nur ein Viertel der Schüler konnte einen Impfschutz nachweisen.
Allein im ersten Halbjahr 2013 wurden dem Berliner Robert Koch-Institut (RKI) mehr als 1070 Fälle gemeldet, der Großteil davon in Bayern (478) und Berlin (400). Laut einer aktuellen Schätzung des RKI waren in diesem Jahr zum Stichtag am 14. Juli bereits 1207 Menschen an den Masern erkrankt. Das Bundesgesundheitsministerium prüft derzeit, wie die Ausbreitung der Masern verringert werden kann.
Nach den Ergebnissen der repräsentativen online durchgeführten YouGov-Umfrage im Auftrag der Nachrichtenagentur dpa ist eine deutliche Mehrheit von 76 Prozent der Befragten für eine deutschlandweite Impfpflicht gegen bestimmte Krankheiten.
Ärztevertreter und Politiker hatten zuletzt verpflichtende Schutzimpfungen ins Gespräch gebracht, darunter zwischenzeitlich auch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP). Zudem erwägt das Gesundheitsministerium, nicht-geimpfte Schüler bei einem Masern-Ausbruch in ihrer Schule künftig auf Zeit vom Unterricht auszuschließen. Bisher geht das nur bei bereits erkrankten Kindern.
Die Meinungsforscher befragten vom 12. bis 15. Juli insgesamt 1051 Bürger ab 18 Jahren. Unter anderem fragten sie auch Eltern, die ihre Kinder nicht vor dem zweiten Geburtstag doppelt impfen lassen, nach deren Begründungen dafür. Früher sei die Doppel-Impfung unüblich gewesen, antworteten einige der Befragten. Kinderärzte hätten das nicht empfohlen oder sogar abgeraten. Andere gaben allerdings an, „Impfgegner“ zu sein und Impfungen für einen „der zahlreichen Irrglauben unserer Wissenschaft“ zu halten.