Die Küche als Lebensraum für alle
Köln (dpa/tmn) - Endlich ist sie herzeigbar mit ihren offenen Regalen und schickem Design: Vorbei sind die Zeiten, als die Küche nur zum Kochen genutzt wurde. Die neuen Küchen öffnen sich immer weiter zum Wohnraum.
Ihr ursprünglicher Zweck ist kaum mehr zu erkennen.
Ob zum Essen, Spielen oder gemütlichen Beisammensein: Für Familien ist die Küche oft das Herz der Wohnung. Und für Menschen, die gerne kochen, sowieso. Hier stehen Geselligkeit und Genuss im Mittelpunkt. Die moderne Küche entwickelt sich immer mehr zum „Lebens-Raum“ - Wohnbereiche werden entgrenzt, traditionelle Zuschnitte in Wohnzimmer und Küche überwunden. Wenn sich die Familienmitglieder oder Freunde irgendwo in der Wohnung treffen, dann in der Küche.
Die traditionelle Wohnküche erlebt deshalb aber kein Revival. Im Gegenteil: Die alten Strukturen lockern sich. Der Soziologe Prof. Hartmut Häussermann aus Berlin sieht darin einen „Prozess der Entformalisierung“. Es gebe nicht mehr die klare Regel, dass die Küche nur „als Arbeitsplatz“ zum Kochen und das Wohnzimmer nur zum Repräsentieren genutzt wird. Auf der Küchenschau LivingKitchen im Rahmen der Internationalen Möbelmesse IMM Cologne in Köln im Januar war das deutlich zu sehen.
Eine Verschmelzung der Wohnwelten erkennt darin Frank Hüther von der Arbeitsgemeinschaft Die Moderne Küche (AMK). Die Küche öffne sich zum Wohnraum, sagt er. Dies werde umgesetzt mit offenen Regalsystemen und Sitzmöbeln, die früher nur im Wohnzimmer standen. Die Küche gewinne zunehmend an Bedeutung als Ort zum Entspannen, Reden und Genießen.
Und so lässt sich mittlerweile oft nicht mehr auf den ersten Blick sagen, wo die Küche aufhört und das Wohnzimmer anfängt. Die Übergänge sind fließend. Auch die Technik tut ein Übriges: Dunstabzüge werden wie Geschirrspülmaschinen immer leiser. Schubladen und Schranktüren bekommen eine Schließdämpfung. Backofen, Kühlschrank und Co. verschwinden hinter Schranktüren, die wie Wandverkleidungen aussehen.
Ein prägnantes Beispiel für die Entgrenzung bietet die von Stardesigner Philippe Starck für die Marke Warendorf entworfene „Library“: Offene Regalfächer umgeben die Küchenschränke, die sich als solche kaum zu erkennen geben. Das Kochfeld ist in einen mitten im Raum stehenden Arbeitstisch integriert, der zugleich Esstisch sein kann.
Kochen und Wohnen greifen auch beim Programm „Classic-FS“ von Leicht ineinander. Dort setzt man gezielt auf „Wohnlichkeit“, wie Ulrike Kolb vom Marketing des Möbelunternehmens sagt. Beidseitig nutzbare Tresen gehen über in offene Regalsysteme - so lässt sich die Küche in den Raum ziehen. Oder die Elemente werden als Raumteiler dort eingesetzt, wo früher eine durchgängige Wand war, zum Beispiel bei dem Programm „Tocco“.
Noch einen Schritt weiter geht das gemeinsam mit dem Stararchitekt Hadi Teherani entworfene Konzept „+Artesio“ von Poggenpohl: Hier schaffen raumhohe Bogenelemente eine Verbindung zum Wohnraum wie eine Brücke. Die Schränke stehen nicht mehr an der Wand. „Sie dienen als Anker, um sich optisch daran festzuhalten“, erläutert Firmensprecher Thomas Oberle. Wand, Boden und Decke würden architektonisch verschmelzen.
Diese neuen Küchen seien eine Mischung aus Komfort und Funktion, sagt AMK-Geschäftsführer Hüther. Aber nicht nur das: Auch Ästhetik und Stil spielen eine Rolle. Eine kalte, stromfressende Beleuchtung wird Hüther zufolge abgelöst von einem verbrauchsarmen LED-Lichtdesign. Das ermöglicht einerseits ein starkes Arbeitslicht und andererseits ein stimmungsvolles Ambiente.
Das Unternehmen Leicht zum Beispiel schafft mit LEDs Akzente in Vitrinen: Jedes Fach wird einzeln ausgeleuchtet. Schüller Möbelwerk zeigt bei seiner Linie „next125/nextline“ hell beleuchtete Glaspanele, die in die Wand über der Arbeitsfläche und unter den Oberschränken integriert sind. Diese stehen in starkem Kontrast zu den lavaschwarzen Oberflächen.
Solche dunklen Farben sind bei den neuen Küchen allerdings eher die Ausnahme. Ursula Geismann, Sprecherin des Verbands der Deutschen Möbelindustrie, hält sie für eine Randerscheinung. Sie habe auf der Messe bei den Oberflächen „sehr viel Helles“ ausgemacht. Das bestätigt auch Oliver Streit von der Nobilia-Geschäftsführung: „Weiß und Magnolie wird am besten verkauft“, sagt er. Weil aber Weiß immer sehr nüchtern wirke, würden häufig Naturfarben eingestreut, um es aufzulockern - zum Beispiel mit einer andersfarbigen Arbeitsplatte.
Dieser häufig zu sehenden Farbmix - Hüther zufolge entweder im Kontrast oder Ton-in-Ton abgestimmt - ist ebenso an Möbeln in der restlichen Wohnung zu sehen wie der nun beliebte Materialmix. So werden Holz, Edelstahl, Stein, Kunststoff und Glas auch in der Küche kombiniert, Glas wird wie schon im Wohnzimmer und Schlafzimmer teilsatiniert. Auch das zeige ein Verschmelzen der Wohnräume, ist Bosch-Chefdesigner Robert Sachon überzeugt: „Die Leute wollen ihre Küche herzeigen“, lautet sein Fazit.