Nostalgie in Blech: Lebkuchenkisten sind Schatzkästchen
Nürnberg/Aachen (dpa) - Aufwendig gestaltet und auf eine liebenswerte Art altmodisch: Blecherne Lebkuchentruhen und Dosen gehören in vielen Familien zur Vorweihnachtszeit. In die Gestaltung stecken Lebkuchenbäckereien fast so viel Zeit wie in die Herstellung des Inhalts.
Der Deckelrand ist reich mit Ornamenten verziert, auf dem Deckel selbst prangt ein altes Gemälde der Nürnberger Kaiserburg: Viele blecherne Lebkuchenkisten präsentieren sich als kleine Kunstwerke. Was zur sicheren Aufbewahrung empfindlicher Lebkuchen und Spekulatius gedacht ist, kommt häufig als aufwendig gestaltetes Schatzkästchen daher. Mittelalterliche Romantik ist dabei bei der Gestaltung der Lebkuchenkisten seit Jahrzehnten Trumpf - erst recht während des Weihnachtsgeschäfts.
Lebkuchen-Hersteller verwenden inzwischen auf die Motivwahl ihrer Blechtruhen und Dosen fast so viel Zeit wie auf die Herstellung des süßen Inhalts. Besonders aufwendig gestaltete Exemplare haben längst Kult- und Sammler-Status, weiß man etwa beim Nürnberger Lebkuchen-Hersteller Schmidt-Lebkuchen. Als Geldanlage eignen sie sich allerdings nicht, wie ein Blick ins Internetauktionshaus Ebay zeigt. Dort werden zwar 200 Lebkuchentruhen angeboten; aber nur wenige Sammlerstücke erreichen namhafte Beträge.
Bei dem Nürnberger Traditionsunternehmen hat sich an der Motivwahl in den vergangenen 50 Jahren kaum etwas geändert: „Der absolute Standard sind traditionelle Nürnberger Motive“, berichtet Produktmanagerin Martina Meissner. Keine der jährlich wechselnden Truhen- und Dosen-Kollektionen kommt ohne ein Motiv der Nürnberger Frauenkirche, den Schönen Brunnen oder den Henkersteg aus. Modeströmungen scheinen bei der Gestaltung kaum eine Rolle zu spielen.
Auch beim Aachener Lebkuchen-Hersteller Lambertz ist bei der Gestaltung Romantik Pflicht: „Am begehrtesten sind Truhen mit Nürnberger Motiven, aber auch mit Weihnachts- und Wintermotiven. Verziert werden sie mit Prägungen und feinen Ornamenten“, berichtet Firmeninhaber Hermann Bühlbecker. Den Geschmack der Käufer ermittelt das Unternehmen jedes Jahr in einer Kundenumfrage.
Wer alljährlich eine halbes Dutzend Lebkuchentruhen neu gestalten muss, braucht nach Angaben von Bertram Trattmann ein gut sortiertes Archiv. Trattmann gestaltet in seinem Nürnberger Atelier seit 15 Jahren sämtliche blecherne Lebkuchenkisten der Firma Lebkuchen-Schmidt. „Wir haben inzwischen einen großen Fundus an alten Kupferstichen, Lithographien und Bildern vom mittelalterlichen Nürnberg“, berichtet der freiberufliche Grafiker.
Ideen für Ornamente, die mittelalterliche Motive umrahmen, holt sich Trattmann aus Ornamentik-Büchern. Anleihen nimmt er mal bei der Möbelornamentik, mal bei der Schmiedekunst. Recherchen führen ihn regelmäßig ins Nürnberger Stadtarchiv; manchmal wird er auf der Suche nach neuen Nürnberger Stadtansichten auch im Germanischen Nationalmuseum fündig.
Dass ausgerechnet altdeutsche Motive auf Lebkuchenkisten dominieren, ist für den Bundesverband der Deutschen Süßwaren-Industrie (BDSI) kein Zufall: „Viele dieser Lebkuchentruhen gehen ins Ausland“, berichtet BDSI-Sprecherin Solveig Schneider. „Die Blechkisten garantieren einfach einen sicheren Transport.“ Gerade Deutsche, die im Ausland lebten, schätzten die altdeutschen Motive. „Das weckt bei ihnen nostalgische Erinnerungen“, meint Schneider.
Zwar gibt es nach Angaben von Martina Meissner von Lebkuchen-Schmidt inzwischen einen Trend zu preiswerteren kartonverpackten Lebkuchen. „Auch wir spüren die Euro-Schuldenkrise“, berichtet sie. Trotzdem liegt der Anteil der in Blechkisten und Truhen verkauften Lebkuchen bei Schmidt immer noch bei 40 Prozent.
Welche Art von Lebkuchenkisten auf die Adventskaffee-Tische der Deutschen kommt, ist daher ein langwieriger Abstimmungsprozess. Trattmann beispielsweise arbeitet derzeit schon an den Entwürfen für die Lebkuchenkisten der Weihnachtssaison 2014. Spätestens im Februar wird er mit beklebten Truhen und Dosen seine Vorstellungen der Geschäftsführung unterbreiten. Den ersten Blech-Dummie im neuen Design gibt es einen Monat später. Im Sommer 2013 geht es dann in die Abschlussrunde, bevor Techniker den Herbst über die Prägewerkzeuge bauen, mit denen später das Blech zu bedruckten Dosen gestanzt wird.