Greenpeace-Umfrage: Deutsche sehen Kleidung als Wegwerfware
Hamburg (dpa) - Bekleidung ist einer Umfrage im Auftrag von Greenpeace zufolge zum Wegwerfartikel geworden. Von den 5,2 Milliarden Kleidungsstücken in deutschen Schränken würden 40 Prozent sehr selten oder nie getragen, teilte die Umweltschutzorganisation am Montag mit.
Jeder Achte trage seine Schuhe weniger als ein Jahr lang. Kaum jemand lasse Kleidung ausbessern. Mode sei zum Wegwerfartikel wie Einweggeschirr verkommen, kritisierte Greenpeace-Expertin Kirsten Brodde.
Für wichtig werde gehalten, den schnell wechselnden Trends zu folgen. Kleidungsstücke würden daher rasch aussortiert und landeten im Kleidercontainer oder im Müll, so Brodde. Mehr als Tausend Menschen zwischen 16 und 69 Jahren waren für die Analyse im September befragt worden.
Demnach besitzen Frauen im Durchschnitt 118 Kleidungsstücke (ohne Strümpfe und Unterwäsche), Männer 73 Teile. Frauen aus dem Westen Deutschlands haben am meisten Kleidung im Schrank. Mehr Bildung und mehr Einkommen gehe mit deutlich mehr Anziehsachen einher, teilte Greenpeace zu den Umfrageergebnissen mit.
Zum Bild der Wegwerfmentalität passt, dass die Hälfte der Befragten noch nie Kleidung zum Schneider gebracht hat. Mehr als die Hälfte der 18- bis 29-Jährigen war noch nie beim Schuster. Knapp zwei Drittel (64 Prozent) der Befragten sortieren Kleidung aus, weil sie ihnen nicht mehr gefällt. 83 Prozent der Befragten haben noch nie Kleidung getauscht, über die Hälfte noch nie welche verkauft.
Wenn die Befragten Kleidung aussortieren, wandere sie oft in den Müll, hieß es von Greenpeace weiter. Fast die Hälfte der Befragten hat demnach in den letzten sechs Monaten Kleidung weggeworfen. „Das geht zulasten der Umwelt und der Gesundheit, denn die Kleidung wird mit Hunderten giftiger Chemikalien produziert“, sagte Brodde.
Bei der Frage nach Gütesiegeln klaffen Wunsch und Wirklichkeit der Verbraucher auseinander. Jeder zweite Befragte gab an, dass Siegel für nachhaltig, umweltverträglich und fair hergestellte Kleidung sehr hilfreich seien. Zugleich achtet aber nur jeder Vierte beim Kauf auf nachhaltige, umweltverträgliche oder faire Produktion.
„Wir können wirklich von einem Werteverfall sprechen“, sagt auch
Claudia Banz, die für das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe die
Schau „Fast Fashion“ kuratiert hat. In der Ausstellung geht es um die
Schattenseiten der Mode. 90 Prozent der Kleidung für den
amerikanischen und europäischen Markt wird danach in
Billiglohnländern wie China, Indien oder Vietnam produziert.
Entwicklungshelfer beobachten die Folgen: Landwirtschaftliche Flächen
werden für Baumwolle genutzt, nicht mehr für Lebensmittel. Traurige
Schlagzeilen machte 2013 ein verheerender Brand in einer maroden
Textilfabrik in Bangladesch. Vielen Käufern bei uns wurde da erst
richtig bewusst, was der westliche Konsum anrichten kann.
„Da muss ein neues Bewusstsein her“, sagt Kuratorin Banz. „Wenn etwas
günstig ist, fühlen wir uns gut.“ Da setze die Werbung sehr geschickt
an. Schulen und Bildungseinrichtungen seien beim Thema Nachhaltigkeit
gefragt. Doch Kleidertausch-Partys sieht Banz kritisch: Diese weckten
auch nur das Bedürfnis, mehr zu haben. Die Ausstellung „Fast Fashion“
hat aus ihrer Sicht einen Nerv getroffen. „Man merkt, dass es die
Menschen berührt.“
Der Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie sieht das
Thema naturgemäß anders. „Die Leute kaufen viel und haben die
Schränke voll“, sagt Sprecher Hartmut Spiesecke. Von einer
Wegwerfmentalität will er jedoch nicht sprechen. Seine persönliche
Beobachtung: „Wenn ich eine Socke mit einem Loch habe, stopfe ich sie
nicht.“ Es gebe eine Gruppe von Leuten, die auf das Geld achte.
Mancher, der billig einkauft, hat einfach nicht mehr zum Ausgeben.
Wer mit der Mode gehe, sortiere eher mal etwas aus, urteilt
Spiesecke.
Zu Gute kommt das Aussortieren gerade den Flüchtlingen in
Deutschland. In den Kleiderkammern lagern Berge von Textilien, die
mal mehr, mal weniger zu den Neu-Ankömmlingen passen. Es ist
auffällig viel Frauenkleidung darunter.