So lange soll man Vögel füttern

Sollten die Tiere nur im Winter oder das ganze Jahr über versorgt werden? Experten sind sich darüber nicht einig.

Düsseldorf. Der Schnee ist getaut, die Temperaturen erreichen tagsüber wieder Plusgrade - und die Futterhäuschen verschwinden aus dem Garten und vom Balkon. Ab jetzt sollen sich die Vögel wieder selbst um ihr Futter kümmern. So jedenfalls lautete über Jahrzehnte hinweg die einheitliche Meinung.

Doch Ornithologe Peter Berthold ist anderer Ansicht: "Die Wildvögel brauchen unsere Hilfe." Nicht nur im Winter, auch im Sommer solle gefüttert werden, fordert der Buchautor und ehemalige Leiter der Vogelwarte Radolfzell, einer Zweigstelle des Max-Planck-Instituts für Ornithologie. Seine Argumente: "Vögel, die das ganze Jahr über gefüttert werden, brüten früher, legen mehr Eier und mehr ihrer Jungen überleben. Die Ganzjahresfütterung erhöht die Vogeldichte."

Den Grund dafür, dass Vögel mittlerweile das ganze Jahr über auf zusätzliche Nahrungsangebote angewiesen seien, sieht Berthold in der fortschreitenden Intensivierung der Landwirtschaft. "1950 produzierten die Wildpflanzen in der deutschen Agrarlandschaft noch über eine Million Tonnen Samen", sagt der Ornithologe. Auf den Getreidefeldern beispielsweise wuchsen Klatschmohn und Kornblumen. Die Vögel ernährten sich von deren Samen und den darauf sitzenden Insekten.

Heute jedoch werde der Wildkräuterwuchs durch Herbizide verhindert und Insekten mit Insektiziden vernichtet. Straßenränder und Gärten werden fein säuberlich von Unkraut befreit. Viele Blumenzüchtungen geben zudem kaum noch Samenfutter her. Die Folge: "Den Vögeln fehlt Futter - und zwar zur Brutzeit von Mai bis Juli noch mehr als im Winter", sagt Berthold. Die Jungen müssten gefüttert werden.

Das fehlende Futter mache sich bereits an den Beständen bemerkbar: "Ein Drittel der Vogelarten in der durchschnittlichen deutschen Gemeinde sind bereits verloren, Tendenz steigend", sagt der Experte.

Der Naturschutzbund (Nabu) Deutschland lehnt eine Ganzjahresfütterung wildlebender Vögel hingegen ab. Nur bei anhaltenden Minustemperaturen und einer geschlossenen Schneedecke sollte Futter aufgestellt werden. "Zwar haben die Tiere heute aufgrund der Intensivierung der Landwirtschaft tatsächlich große Schwierigkeiten, Futter zu finden", sagt Birgit Königs, Pressesprecherin des Nabu NRW.

Vogelfütterungen in Städten erreichten jedoch selten mehr als 10 bis 15 Vogelarten. Darunter seien - abgesehen vom Spatz, der auf der Roten Liste steht - vor allem Meisen, Finken, Rotkehlchen und Amseln, von denen keine in ihrem Bestand gefährdet sei.

"Wenn man nur dann füttert, wenn Schnee liegt und die Temperatur auf minus fünf Grad sinkt, dann darf man sich nicht wundern, wenn nur die Allerweltsarten erscheinen, die um die Ecke wohnen", sagt Peter Berthold. Logischerweise würden in erster Linie Amseln, Kohl-meisen und andere häufige Arten angelockt. "Es gibt mehr davon, also kommen mehr. Man muss viele Vögel lange füttern, damit sich auch die Seltenen einfinden. Das kann dauern."

Der Nabu würde anstatt mit einer ganzjährigen Fütterung lieber bei den Ursachen ansetzen. "Die Millionen Euro im Jahr, die die Deutschen für Vogelfutter ausgeben, sollten sie lieber in natürliche Lebensräume für Vögel investieren, in denen sie wieder Futter finden können", sagt Königs.