Deutschlands „kleinen Tigern“ mit Baldrian auf der Spur
Berlin (dpa) - In vielen Wäldern sind Wildkatzen wieder heimisch. Genaue Infos dazu liefert eine einzigartige Gendatenbank - und eine Heerschar von Freiwilligen, die dafür Katzenhaarproben sammeln.
Zur Ausrüstung eines Wildkatzenretters gehören: Baldrianspray, Spezialtüten zum Aufsammeln von Katzenhaaren, eine Gaskartusche zum Abflämmen des Lockstockes, Feile, Taschenlampe - und eine robuste, wetterunabhängige Konstitution. Seit drei Jahren ziehen mehr als 600 Freiwillige zwischen Januar und April Woche für Woche tief in Deutschlands Wälder - dahin, wo es schwer zugänglich und einsam ist. Als „Lockstock-Betreuer“ sammeln sie an den aufgerauten und Baldrian-getränkten Holzpflöcken Tierhaare ein - und leisten damit einen Beitrag zum Schutz der in Deutschland zeitweise fast ausgerotteten Wildkatzen.
Vor allem Wildkatzen nämlich lieben den Duft von Baldrian, reiben sich an den Lockstöcken und lassen dabei Haare. Diese Haare sind nun Grundlage für eine einzigartige Gendatenbank zur Europäischen Wildkatze (Felis silvestris silvestris). Vor kurzem wurde das gemeinsame Projekt von BUND, Bundesamt für Naturschutz und Senckenberg Gesellschaft erstmals vorgestellt. „Wir stehen erst am Anfang dessen, was man aus diesem Datenpool alles herauslesen kann“, berichtete Senckenberg-Generaldirektor Prof. Volker Mosbrugger in Berlin. „Die Wildkatze steht als Repräsentant für einen ganzen Lebensraum.“
Schon jetzt weiß man: Die scheuen Tiere leben vor allem in den Waldgebieten im Westen, speziell in Eifel und Hunsrück, sowie im Leine-Weser-Bergland, Harz und Hainich. Im Süden, Osten und hohen Norden hingegen sind die Katzen, die durch Bejagung und Verlust ihrer Lebensräume bundesweit fast verschwunden waren, noch nicht wieder in größerem Ausmaß zu finden. Und: Es gibt deutlich weniger Vermischung mit Hauskatzenbeständen, als von Experten erwartet. Daneben zeigten sich Ausbreitungsbarrieren und genetische Unterschiede zwischen den Populationen in Mittel- und Westdeutschlands. „Möglicherweise bestehen die sogar schon seit der Eiszeit“, sagte ein Senckenberg-Mitarbeiter.
Auf über 60 Untersuchungsflächen gab es seit 2011 über 16 000 Lockstockkontrollen. 519 einzelne Wildkatzen wurden dabei gezählt, 250 von ihnen sogar mehrfach. Die Experten rechnen für Deutschland einen Gesamtbestand von 5000 bis 7000 Wildkatzen hoch.
Doch mit eigenen Augen hat noch kaum jemand eine Wildkatze gesehen - denn Deutschlands „kleine Tiger“ sind superscheue Einzelgänger. Andrea Andersen ist Freiwilligen-Koordinatorin im BUND-Rettungsnetz Wildkatze und sagt: „Auch mich fasziniert es immer wieder, wie viele Menschen sich für ein Tier begeistern, das eigentlich fast unsichtbar ist. Aber ich kenne Jäger, die einmal spielende Wildkatzenbabys beobachten konnten, und immer noch feuchte Augen bekommen, wenn sie davon erzählen.“
„Die Wildkatze ist ein Sympathieträger“, sagt auch BfN-Präsidentin Beate Jessel. Und so ziehen wanderfreudige Senioren ebenso wie passionierte Katzenliebhaberinnen oder ganze Schulklassen los, mit Baldrian und Gaskartusche im Gepäck. „Manchmal finden Spaziergänger eine junge Wildkatze und nehmen sie mit nach Hause, weil sie meinen, sie hätten ein verirrtes Hauskätzchen gefunden“, sagt Koordinatorin Andersen und lacht. „Die merken zu Hause aber dann schnell, dass das Tier kaum zu bändigen ist.“
Auch in einem zweiten Schutzprojekt, dem Wildkatzensprung, arbeiten deutschlandweit Hunderte Freiwillige mit. Dabei werden vereinzelte Waldstücke durch bis zu 50 Meter breite Pflanzungen von Bäumen und Büschen miteinander verbunden. So können die Wildkatzen wandern und ihre Lebensräume erweitern. In sechs Bundesländern entstehen seit zehn Jahren diese grünen Korridore. Ende 2014 griffen 70 Helfer in Thüringen zum Spaten und schlossen an einem trüben Winterwochenende die letzte Lücke zwischen dem Nationalpark Hainich und dem Thüringer Wald.