100 Jahre Tourismus - Der Rocky Mountain National Park
Denver (dpa/tmn) - Man kann sich nicht entziehen: Der Blick schweift über Bergketten und Täler, klammert sich an den „König der Rocky Mountains“, den 4346 Meter hohen Longs Peak, oder die anderen 71 Viertausender.
Er gleitet von den schneebedeckten Berggipfeln hinunter zu den gelb und blau getupften Wiesen, auf denen Rehe weiden. Weiter unten ziehen vom Schmelzwasser angeschwollene Flüsse braune Streifen durch das satte Grün. So sind die „ Rockies“.
Mehr als drei Millionen Besucher aus dem In- und Ausland berauschen sich jährlich an der natürlichen Pracht des 1076 Quadratkilometer großen und höchsten Nationalparks der USA. Sie genießen das angenehme Klima, füllen ihre Lungen mit sauberer Höhenluft und bringen beim Wandern ihren Kreislauf in Schwung.
Dass sich dieses beeindruckende Naturerlebnis heute noch immer so genießen lässt wie vor 100 Jahren, ist vor allem Enos Mills zu verdanken. Er gilt als Vater des Rocky Mountain National Parks. Die Suche nach ihm führt nach Estes Park, etwa anderthalb Autostunden nordwestlich von Denver. Nur wenige Kilometer von dem kleinen Ort entfernt führt Enos' Urenkelin Eryn Mills Besucher durch die in ein Minimuseum umgewandelte kleine Blockhütte ihres Urgroßvaters.
„Das muss der schönste Tag in seinem Leben gewesen sein“, sagt Eryn und deutet auf ein leicht vergilbtes Foto, auf dem ihr Ur-Großvater Honoratioren der Region am 5. September 1915 um sich schart, um den Rocky Mountain National Park offiziell einzuweihen. Eigentlich wollte Enos als 14-Jähriger hier oben nur einige Monate die klare Bergluft genießen, um sich von Tuberkulose zu erholen, erzählt Eryn. „Doch die Schönheit der Landschaft überwältigte ihn, und nachdem er 1889 mit dem bekannten Naturschützer John Muir zusammengetroffen war, ließ ihn die Idee der Schaffung eines Nationalparks nicht mehr los.“
Von 1909 bis 1915 tourte Mills durch Vortragssäle, schrieb Artikel und Bücher und erreichte schließlich mit finanzieller Unterstützung vom Unternehmern, dass der amerikanische Kongress 1915 der Errichtung des Nationalparks zustimmte.
Enos Mills und seine Frau Esther führten fortan viele Touristen durch die alpine Tundra des Parks und auf den Gipfel des Longs Peak. Heute setzen professionelle Bergführer wie Andy Barkley diese Tradition fort. Eine seiner Lieblingstouren führt 600 Höhenmeter hinauf an den „Fern Lake“. Riesige Gesteinsbrocken säumen den Weg, rauschende Bäche, Espen, Akelei, Gänseblümchen oder Lilien. Neben dem Fern Wasserfall tummeln sich Rotkehlchen, Zaunkönige und Elstern, ja selbst Kolibris fühlen sich in dieser Höhenlage wohl.
Am See haben Fliegenangler die besten Uferplätze besetzt, um Forellen zu fangen und wieder ins Wasser zu setzen. Am späten Nachmittag breitet sich dann Ruhe über dem See aus, und die Nacht gehört den gerade einmal fünf Campern alleine. Die Sonne färbt zum Abschied die Wolken lila, und bevor es in die Schlafsäcke geht, beruhigt Andy: „Schwarzbären und Wölfe hat man in der Pionierzeit erbarmungslos ausgerottet, nur Pumas werden dann und wann noch gesichtet.“
Erik Stensland bestätigt das am nächsten Tag. Der Landschaftsfotograf kennt jeden Winkel des Parks und durchstreifte das über 560 Kilometer lange Wanderwegenetz unzählige Male. Oft beginnt er seine Touren um Mitternacht und traf dabei einmal auf ein Pumapaar. „Das entschloss sich erst nach heftigem Gestikulieren und Rufen meinerseits, ins Gebüsch auszuweichen“, schildert er sein Erlebnis.
Für Stensland sind die Rockies ein einziges Wunderland, vor allem, wenn am Morgen das Leben im Park erwacht. „Die ersten Sonnenstrahlen spielen mit dem Nebel über dem See, kitzeln die Berggipfel, tauchen Wiesen, Bäche und Blumen in ein weiches Licht und wecken im Menschen eine Sehnsucht, die sonst im Inneren verborgen bleibt.“ Er hat jetzt den Band „Wild Light“ zum 100. Geburtstag des Parks veröffentlicht.
Doch nicht alles ist heile Welt in den Rockies. Bei Breckenridge kann man sich von Ronnie Picariello durch eine verwüstete Landschaft führen lassen. „Nachdem zwei Goldgräber 1887 hier im French Gulch einen 13 Pfund schweren Goldklumpen gefunden hatten, begann ein rücksichtsloser Raubzug durch die Bäche und Flüsse des Swan- und Blue River rund um Breckenridge“, erzählt Picariello. Die Geröllhalden könne man zwar beseitigen, doch Arsen, Quecksilber und Natriumcyanid werden noch lange Zeit den Boden rund um die verwitterten Minen, Maschinen und Geisterstädte belasten.