Bunte Klippen und Schiffswracks - Michigans Obere Halbinsel
Munising (dpa/tmn) - Fast alle Farben des Regenbogens sind vertreten und noch ein paar Töne mehr: In Rot, Grau, Schwarz, Grün, Weiß und Braun, in Ocker und in Gelb glitzern die Sandsteinfelsen, gegen die der Lake Superior seine Wellen schwappt.
Kapitän Jaden Niemi steuert das Ausflugsboot „Miners Castle“ an Klippen vorbei, die Lover's Leap heißen oder Indian Head - weil die Formation aus der Ferne wirkt wie das riesige Antlitz eines amerikanischen Ureinwohners.
Um die Farbpracht an den steilen Wänden festzuhalten, lösen einige Touristen an Bord fast pausenlos ihre Kameras aus. Für viele von ihnen steht in diesem Moment fest: Die Pictured Rocks National Lakeshore ist ein guter Grund, um auf die Upper Peninsula (UP) Michigans zu reisen.
Die Obere Halbinsel besitzt den zweifelhaften Ruf, weitab vom Schuss zu sein - und das stimmt tatsächlich ein bisschen. Auf der Karte liegt sie eingeklemmt zwischen drei der fünf Großen Seen Nordamerikas: Superior im Norden, Michigan im Süden und Huron im Südosten. Hinter dem St. Mary's River, der vom Lake Superior zum Lake Huron fließt, beginnen die Weiten Kanadas. Und im Westen grenzt die UP an den ebenso wie sie selbst dünn besiedelten Norden des Nachbarstaates Wisconsin, der von Landwirtschaft geprägt ist.
Zwar ist die Upper Peninsula so groß wie Hessen und Rheinland-Pfalz zusammen, doch nur gut 310 000 Menschen leben hier - und ihre Zahl nimmt langsam, aber beständig ab. Die UP zählt zu den wenigen Regionen in den USA, in denen die Bevölkerungszahl zurückgeht. Von Tankstellen bis Hotels: Die Infrastruktur schrumpft mit, manche Orte drohen Geisterstädte zu werden. Zusammen mit der Kürze der Reisesaison, die sich - abgesehen von Snowmobil-Enthusiasten und Eisanglern - auf die Monate Juni bis September beschränkt, sind das nicht die allerbesten Voraussetzungen für Tourismus.
An Bord der „Miners Castle“ allerdings herrscht an diesem Abend dichtes Gedränge. Die 150 Passagierplätze sind fast alle besetzt. Im Hochsommer legen die Ausflugsboote von Pictured Rock Cruises, einem von drei Tourenanbietern in Munising, bis zu zwölfmal täglich ab. Sie fahren dann zwei bis drei Stunden lang an den Klippen entlang. Am beliebtesten sind die Touren am Spätnachmittag und am Abend, wenn die Sonne von Westen auf die Küste scheint und Hobbyfotografen während der Rückfahrt kein Gegenlicht in Kauf nehmen müssen. John Madigan, der Inhaber der Reederei, rät dazu, am besten direkt nach einem Regenschauer die Tour anzutreten: „Die Farben sind am intensivsten, wenn die Oberfläche der Felsen noch ganz nass ist.“
Was die Pictured Rocks so glitzern lässt und ihnen den Namen gab, sind Mineralien, die von austretendem Grundwasser nach und nach aus dem weichen Gestein gespült werden und Farbstreifen auf den Klippen hinterlassen: Kupfer ist darunter, ebenso Mangan, Eisen sorgt für die Rottöne. Seit 1966 stehen die Pictured Rocks als National Lakeshore unter besonderem Schutz.
Ranger der US-Nationalparkbehörde kümmern sich in einem 67 Kilometer langen Küstenstreifen entlang des Lake Superior von Munising im Westen bis Grand Marais im Osten um Aussichtspunkte, Picknickplätze und Besucherzentren. Wanderpfade führen zum See, der vom Ufer aus gesehen manchmal wie ein wilder Ozean erscheint, und zu den Klippen, aber auch zu schönen Wasserfällen wie den Miners Falls, den Mosquito Falls und den Sable Falls am Rand der rund 100 Meter hohen Grand-Sable-Dünen. Auch diese gehören zum Schutzgebiet, von bunten Felsen ist hier aber nichts zu sehen.
Der Wind hält die Sandberge ständig in Bewegung. Einen guten Blick darauf bekommen Besucher am Log Slide Overlook am Westrand der Dünen. Als das Hinterland des Lake Superior im späten 19. Jahrhundert im großen Stil gerodet wurde, um Bauholz für die rasch wachsenden Städte an den Großen Seen zu gewinnen, hatten Holzfäller hier eine lange Rutsche gebaut. Über diese kamen geschlagene Stämme ans Seeufer und wurden dort von Schiffen an Bord genommen, um nach Chicago oder Milwaukee transportiert zu werden - oder erst mal in eines der einst fünf Sägewerke in Grand Marais. Der kleine Ort war vor mehr als 100 Jahren ein boomendes Städtchen mit rund 3000 Einwohnern - heute leben hier noch 400 Menschen.
Dass die Upper Peninsula trotz des jahrzehntelangen und intensiven Einsatzes von Äxten und Sägen noch ziemlich waldreich ist, erfährt jeder, der von Grand Marais aus nach Osten oder Südosten reist: Bäume, soweit das Auge reicht. Dazwischen taucht, etwa 15 Kilometer vor dem Städtchen Newberry, der Abzweig zu Oswald's Bear Ranch auf, dem größten reinen Bären-Zoo in den USA. Insgesamt 29 Schwarzbären leben hier in weitläufigen Freigehegen, nach Männchen und Weibchen getrennt, denn Bärenzucht ist verboten.
Dean Oswald und seine Crew nehmen immer wieder Bärenjunge auf, die irgendwo alleine ohne Mutter aufgefunden wurden. „Wir haben Tiere schon aus New York, Ohio und Minnesota bekommen, aus Wisconsin und selbst aus so entfernten Staaten im Westen wie Arizona“, erzählt der Ranchbesitzer. Die ganz kleinen Bären lässt er in einem halboffenen Käfig für Fotos mit Besuchern posieren, die mit einem Löffel die noch verspielten Jungtiere mit Cerealien füttern dürfen. Die Ranch hat den Tieren das Leben gerettet, weil die kleinen Schwarzbären in der Natur ohne Mutter wohl keine Chance gehabt hätten. Der Preis dafür ist ein Leben in Gefangenschaft, begafft von Touristen.
Von Oswald's Bear Ranch nur gut 30 Autominuten entfernt liegt im Osten der Tahquamenon Falls State Park, dessen größte Attraktion ein voluminöser Wasserfall ist - östlich des Mississippi wird er nur von zwei anderen übertroffen, darunter die mächtigen Niagarafälle. Im April und Mai, wenn es auf der UP oft regnet und zugleich die milder werdenden Temperaturen den meterhoch liegenden Schnee schmelzen, schwellen die Tahquamenon Falls massiv an. Am bisherigen Rekordtag im Mai 1960 gingen fast 198 000 Liter Wasser pro Sekunde über die 60 Meter breiten und etwa 14 Meter hohen Oberen Fälle im State Park.
Im Hochsommer, wenn die meisten Touristen hier sind, wirkt zwar das Schauspiel nicht mehr ganz so spektakulär, weil sich die Wassermenge bis August auf gut ein Zehntel reduziert. Dafür sind die Wanderwege entlang des Tahquamenon River dann gut in Schuss. Besonders beliebt ist der acht Kilometer lange Pfad von den Oberen zu den Unteren Fällen, wo sich einige Besucher ein Boot leihen, um der Gewalt der Natur, die sich hier etwas zahmer gibt, so nah wie möglich zu sein.
Nicht um Boote, sondern um richtige Schiffe geht es in Whitefish Point am nordöstlichen Ende der UP. An dem Ort, der wie ein Sporn in den Lake Superior hineinragt, kann der 1861 errichtete Leuchtturm besichtigt werden, dessen heute automatisch betriebene Signalanlage 29 Kilometer weit auf den See hinausstrahlt. Vor dem Strand herrscht ständiges Kommen und Gehen der Große-Seen-Frachter.
„Wenn die Schiffe hierher kommen, sind sie nur noch eine Stunde von den Schleusen in Sault St. Marie entfernt. Von hier kündigen sie sich per Funk an“, erklärt die Besucherführerin, bevor es wieder die 56 Stufen heruntergeht, die der Leuchtturmwärter einst alle zweieinhalb Stunden hinaufgehen musste, um Brennstoff nachzufüllen. Das Petroleum wurde aus Brandschutzgründen nicht im Turm gelagert.
Der Leuchtturm am Whitefish Point ist heute ein Teil des Great Lakes Shipwreck Museums, das sich den großen und kleinen Katastrophen der Große-Seen-Schifffahrt widmet - das Südufer des Lake Superior wurde im 19. und frühen 20. Jahrhundert geradezu zu einem Schiffsfriedhof. Im Mittelpunkt steht dabei die Geschichte des im November 1975 etwa 27 Kilometer vor Whitefish Point gesunkenen Frachters „Edmund Fitzgerald“, des größten und bis heute wohl auch berühmtesten Wracks auf dem Grund der Great Lakes.
Beladen mit 29 000 Tonnen Takonit für ein Stahlwerk in Detroit, war das 222 Meter lange Schiff in einem schweren Wintersturm gesunken, alle 29 Besatzungsmitglieder kamen dabei ums Leben. Im Shipwreck Museum gibt es zum Beispiel einen fast vier Meter langen Nachbau aus Legosteinen zu sehen, angefertigt von einem Lehrer namens John Beck in neun Jahren Arbeit aus 18 000 Teilen. Auch die 1995 aus 160 Metern Tiefe geborgene Schiffsglocke der „Edmund Fitzgerald“ ist ausgestellt - für viele Amerikaner und Kanadier ein wichtiges Exponat, weil es die von vielen Unglücken geprägte Geschichte der Schifffahrt auf den Großen Seen symbolisiert.