Kostenlos durch die Stadt - „Greeter“-Bewegung wächst

Stuttgart (dpa) - Volker Karcher wäre nach seinem Berufsleben als Unternehmensberater gerne Stadtführer in Stuttgart geworden. Doch das kommunale Stadtmarketing wollte den 65-Jährigen nach seinen Angaben nicht zum Fremdenführer ausbilden.

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Stattdessen ist Karcher jetzt ein „Greeter“ (so viel wie: „Begrüßer“).

So bezeichnen sich ehrenamtliche Stadtführer, die sich mit Unbekannten über das Internet zu Spaziergängen durch ihre eigene Stadt verabreden. „Es gibt wunderschöne Plätze in Stuttgart, die Stadt ist überhaupt nicht so grässlich und langweilig, wie manche behaupten.“

Nach den Grundsätzen der internationalen „Greeter“-Bewegung dürfen diese Führungen nichts kosten, maximal sollen sechs Personen dabei sein und das Programm soll individuell auf die Gäste zugeschnitten werden. Stuttgart, Mannheim, München, Hamburg, Berlin und seit neuestem auch Dresden: „Greeter“-Gruppen gibt es nach Mitteilung des Bundesverbandes mittlerweile in zwölf Städten. Sie seien immer sofort über Web-Suchmaschinen zu finden. Eine „Greeter“-Gruppe in Heidelberg hat ihre Aktivitäten mittlerweile aber wieder aufgegeben.

Karcher wurde im badischen Achern geboren und wohnt seit 1969 im Schwabenland. Gerade hat er den Turm der Stuttgarter Musikhochschule bestiegen. Von dort gibt es ein Panorama über die Innenstadt bis zu einem Weinberg und zum Hauptbahnhof. „Führungen zu Stuttgart 21 werden weniger gebucht. Auf Wunsch gehe ich mit den Menschen aber überall hin“, sagt Karcher. Auch das Rotlichtmilieu rund um das Leonhardviertel sei wegen seiner Vielseitigkeit nicht uninteressant.

Hungrigen Touristen empfiehlt er dann ein türkisches Gasthaus direkt neben dem Straßenstrich. „Dort gibt es die besten Schnitzel“, betont Karcher, der aber eher auf die Stadtgeschichte, Architektur, Kleindenkmale, Brunnen aller Art und zahlreiche Anekdoten über das Leben im früheren Königreich Württemberg spezialisiert ist. Dem „lebenden Lexikon“ kann man stundenlang zuhören, weshalb seine Spaziergänge durch die baden-württembergische Landeshauptstadt meistens auch länger dauern als geplant. In der Regel ist er einmal pro Woche mit Gästen unterwegs, was ihm sichtlich Spaß bereitet.

Die Koordination der Stuttgarter „Greeter“-Gruppe mit rund 20 Mitgliedern hat vor zwei Jahren der IT-Berater André Dietenberger übernommen. Die Idee dazu kam ihm in Moskau, als er einen „Greet“ buchte. Eine Konkurrenz für die konventionellen Stadtführer sieht er nicht. „Unser Angebot richtet sich an eine individuelle Nische von Menschen, nicht an die Masse“, sagt Dietenberger.

Auch Andrea Gehrlach von der Stuttgart-Marketing GmbH sieht die „Greeter“-Bewegung nicht als Konkurrenz zu den offiziell angebotenen Stadtführungen. Es handle sich also um ein völlig anderes Projekt, das sich an einen anderen Gästekreis wende. Die freiberuflichen Stadtführer bekämen eine lange Ausbildung, das Alter sei nicht relevant. Die älteste Stadtführerin sei zurzeit 86 Jahre alt. „Wir wählen unsere Stadtführer nach verschiedenen Kriterien aus, beispielsweise welche Fremdsprachen wir derzeit benötigen. Es gibt eine geringe Fluktuation unter unseren Stadtführern, weshalb wir auch nur wenig neue aufnehmen können“, betont Gehrlach.

Sarah Lopau vom Deutschen Tourismusverband in Berlin sagt: „Kostenlos bei einem Fremden auf dem Sofa übernachten oder sich von ihm die Lieblingsplätze seiner Stadt zeigen zu lassen - dagegen ist nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Diese Form der Willkommenskultur ermöglicht nahe Begegnungen von Einheimischen und Gästen.“ Problematisch werde es erst, wenn daraus ein Geschäftsmodell wird, das sich gänzlich den rechtlichen Regularien entziehe, „denen professionelle Anbieter touristischer Leistungen unterliegen“.